
In § 4 der Straßenverkehrs-Ordnung heißt es: „Der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird.“ Die bekannte Faustformel aus der Fahrschule „Abstand gleich halber Tacho“ gibt hierbei einen Anhaltspunkt. Beim sogenannten Anhalteweg ist vor allem die menschliche Reaktionszeit von durchschnittlich mehr als einer Sekunde von entscheidender Bedeutung. Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h legt man in dieser Sekunde knapp 30 Meter zurück. Unaufmerksamkeiten, wie beispielsweise das Bedienen des Smartphones während der Fahrt, erhöhen die Reaktionszeit mitunter auf mehrere Sekunden. Wenn ein Vordermann plötzlich bremst oder ein Fußgänger die Straße überquert, geht es daher oft um Sekundenbruchteile, die darüber entscheiden, ob es zu einem Zusammenstoß kommt. Ein Frontkollisionswarner reagiert deutlich schneller als ein Mensch. Die Systeme messen permanent den Abstand zu vorausfahrenden Fahrzeugen, erkennen Hindernisse in weniger als 300 Millisekunden und reagieren umgehend. Zudem ist die Technik im Gegensatz zum Menschen immer aufmerksam. Allerdings gibt es auch bei den Systemen selbst entscheidende Unterschiede.
Grundsätzlich kann in zwei unterschiedliche Arten von Frontkollisionswarnern unterschieden werden. Einfache Systeme erkennen Daten aus einem Radarsystem, das beispielsweise auch bei der Einparkhilfe zum Einsatz kommt. Taucht nun ein Hindernis vor dem Fahrzeug auf, wird der Fahrer über ein optisches und akustisches Warnsignal gewarnt. Zudem wird dem Fahrer eine Hilfestellung gegeben, von der er nichts mitbekommt. Denn neben dem Fahrer erhält auch das Bremssystem ein Signal und bereitet sich auf eine mögliche Notbremsung vor. So werden beispielsweise die Bremsbeläge an die Bremsscheiben angelegt und die Auslöseschwelle des hydraulischen Bremsassistenten wird gesenkt. So kann der Fahrer bei Registrierung der Gefahr umgehend den Bremsvorgang einleiten. Einige Assistenten erkennen sogar, ob der Bremsdruck ausreicht, um noch rechtzeitig zum Stehen zu kommen. Sofern dieser zu gering ist, wird der Druck automatisch erhöht. Allerdings verfügen einfache Varianten nicht über die Möglichkeit einer vollautonomen Notbremsung.
Dies ist jedoch bei der zweiten Stufe möglich. Das Fahrzeug bremst auch ohne aktives Zutun des Fahrers vollständig ab, um einen Aufprall zu verhindern oder die Wucht zu verringern. Um die Gefahren optimal zu erkennen, reichen die einfachen Radarsensoren nicht mehr aus. In der Regel setzen die Hersteller bei dieser Variante auf eine Mischung aus Radar- und Stereo-Kamerasystemen. Neuerdings wird auch Licht eingesetzt, um Hindernisse zu erkennen. Die Lidar-Technologie (Light Detection and Ranging) setzt auf Laser statt Radarwellen. Diese sollen präziser und schneller arbeiten. Oft sind die Systeme in den Windschutzscheiben installiert, damit die Sensoren aus erhöhter Position das Geschehen vor dem Fahrzeug besser erfassen können.
Sofern ein für die jeweilige Geschwindigkeit notwendiger Abstand unterschritten ist, wird der Fahrer zunächst gewarnt, ehe das System automatisch einen Bremsvorgang einleitet (siehe Grafik). Auf Basis der Berechnung wird der optimale Bremsdruck ermittelt. Im Falle einer Gefahrenbremsung wird der Bremsdruck über einen sogenannten Bremskraftverstärker erhöht. Die Chancen, einen Unfall doch noch zu vermeiden, steigen durch die minimale Reaktionszeit der Elektronik deutlich an. Dennoch können durch den Notbremsassistenten allein nicht alle Auffahrunfälle vermieden werden. Insbesondere in der Stadt können durch Fußgänger und Radfahrer für die Technik unvorhersehbare Ereignisse, beispielsweise durch unvorsichtig auf die Fahrbahn tretende Personen, auftreten. Ein Zusammenstoß kann schlimme Folgen haben, da Fußgänger und Radfahrer über einen geringen Eigenschutz verfügen. Daher liegt die Herausforderung bei der Entwicklung sowie Optimierung der Systeme laut des Technologieunternehmens Bosch genau darin, andere Verkehrsteilnehmer zukünftig besser zu schützen. Nach Angaben des Unternehmens können rund 43 Prozent der Kollisionen mit Fußgängern und Radfahrern durch Frontkollisionsassistenten verhindert werden. Viele Hersteller bieten daher die sogenannte City-Notbremsfunktion an. Der ADAC hat im vergangenen Jahr sechs Autos mit der Fußgängererkennung unter die Lupe genommen. Untersucht wurde neben dem allgemeinen Erkennen von Personen auch das Verhalten der Assistenten bei sich bewegenden Personen zu Fuß oder auf dem Fahrrad. Bei einem Test wurde das Hervortreten einer Person hinter einem parkenden Auto simuliert. Aufgrund der Ergebnisse sieht der ADAC hier bei einigen Herstellern noch deutliches Ausbaupotenzial. Insbesondere beim Erkennen von sich bewegenden Objekten hat die Technik oft Schwierigkeiten. Dies liegt vor allem daran, dass die Sensoren nach vorne ausgerichtet sind und Personen, die von der Seite kreuzen, nicht ausreichend erkennen. Auch Dunkelheit stellt viele Kameras und Sensoren vor Probleme. Mit Warnwesten ausgerüstete Dummys wurden besser erkannt. Daher empfiehlt der ADAC das Tragen von heller Kleidung an dunklen Tagen sowie bei Nacht. Interessanterweise spielt die Anzahl der Sensoren laut den Ergebnissen des Tests keine Rolle in Bezug auf die Qualität der Kollisionswarner. Fahrzeuge mit einer vergleichbaren Anzahl an Sensoren lieferten teilweise sehr unterschiedliche Ergebnisse.
Zu beachten ist bei der City-Notbremsfunktion zudem das Thema Geschwindigkeit. Bei einigen Herstellern funktionieren die Systeme nur bis zu einer Geschwindigkeit von 30 km/h, bei anderen liegt das Limit bei 50 km/h. Allerdings halten sich nicht alle Autofahrer in Städten an das Tempolimit 50, wenn der Verkehr eine freie Fahrt zulässt. Dies führt dann zum Problem, wenn der Fahrer auch bei einem Überschreiten des Tempolimits glaubt, den Notbremsassistenten im Notfall an der Seite zu haben. In diesem Wissen haben bereits einige Hersteller das Geschwindigkeitslimit auf 60 km/h erhöht, um auch kleine Temposünden abzudecken.
Fazit
Frontkollisionsassistenten greifen dann ein, wenn der Mensch ein Hindernis durch eine Unachtsamkeit übersieht. Denn die Technik ist zu jedem Zeitpunkt aufmerksam und erreicht dank minimalster Reaktionszeit einen deutlich kürzeren Bremsweg. Bei der „Rettung in letzter Sekunde“ können die Assistenten durch aktives Eingreifen dabei helfen, Leben zu retten. Die Technik wird den Menschen dabei nicht ersetzen. Sie greift beispielsweise nicht ein, wenn der Fahrer aktive Lenkbewegungen ausführt. Das ist auch gut so, denn nur der Mensch verfügt über die Fähigkeit, Situationen zu analysieren, vorausschauend zu agieren und die Geschwindigkeit den Straßen- und Verkehrsverhältnissen entsprechend anzupassen. Maschinen können dies (noch) nicht. Die optimale Lösung bei der Vermeidung von Unfällen ist somit ein Zusammenspiel aus Mensch und Maschine.