
Wirft man einen Blick zurück auf die Anfänge der automobilen Ära, erkennt man die Wirkung moderner Sicherheitssysteme: So gab es zwar in den 1920er-Jahren längst nicht so viele Kraftfahrzeuge wie heutzutage, dennoch kamen damals mehr Menschen im Straßenverkehr ums Leben, als dies heute der Fall ist. Entscheidender Auslöser für die positive Entwicklung sind Sicherheitssysteme, die nicht nur die Folgen eines Unfalls mildern, sondern dabei helfen, einen Unfall von vornherein zu verhindern.
Die im Fahrzeug verbauten Sicherheitselemente teilen sich in Systeme der aktiven und der passiven Sicherheit auf: Dabei fallen unter die Systeme der aktiven Sicherheit Elemente, die wie das Wort „aktiv“ schon erahnen lässt, aktiv in das Fahrgeschehen eingreifen und so dazu beitragen, kritische Situationen zu entschärfen oder Unfälle zu verhindern. Beispiele hierfür sind der Bremsassistent, das ESP oder der Front- und Side- Assist. Demgegenüber versteht man unter Systemen der passiven Sicherheit konstruktive Maßnahmen, die dazu dienen, die Fahrzeuginsassen vor Verletzungen zu schützen beziehungsweise Verletzungsgefahren zu mindern. Obwohl sich der Begriff vor allem auf den Selbstschutz bei Kollisionen bezieht, werden hierunter auch Elemente erfasst, die den Schutz anderer Verkehrsteilnehmer fördern. Daher sind hier neben Gurtsystemen, Airbags, der „verformungssteifen“ Fahrgastzelle sowie den „Knautschzonen“ in Front und Heck auch Systeme für den Fußgängerbeziehungsweise Fahrradfahrerschutz enthalten.
Die Wirkungen der aktiven wie auch passiven Sicherheitssysteme werden in Crashtests überprüft. Hierzulande sind vor allem die umfangreichen Tests des ADAC beziehungsweise der Euro NCAP (European New Car Assessment Programme – übersetzt: Europäisches Neuwagen-Bewertungs- Programm) bekannt. Obwohl die Anforderungen an die Sicherheitselemente in den Tests von Jahr zu Jahr erhöht werden, erreichen moderne Fahrzeuge immer häufiger die Bestnote. Dies ist natürlich gerade mit Blick auf die Unfallstatistiken eine positive Entwicklung, jedoch wird von Experten bemängelt, dass bei der Fahrzeugkonzeption und Entwicklung zielgenau auf die Anforderungen zum Bestehen der Tests hingearbeitet wird. Daher würden die Aussagen über Sicherheit nur im Rahmen dieser Testbedingungen gelten und zugleich bereits bei geringer Abweichung der Testbedingungen völlig andere Resultate zutage fördern.
Eines der Hauptentwicklungsziele des autonomen Fahrens ist das Mehr an Sicherheit: Heute gibt eine Vielzahl von modernen Assistenzsystemen einen Vorgeschmack, wie sich die automobile Zukunft gestalten lässt. Noch ein Stück weiter geht man in den hochautomatisierten Forschungsfahrzeugen, die auf extra frei gegebenen öffentlichen Straßen verschiedene Versuchsszenarien durchgehen. So zeigt beispielsweise das neueste Audi A7 piloted driving concept „Jack“, dass es nicht nur sämtliche Fahrmanöver auf der Autobahn selbstständig durchführen kann, sondern gleichzeitig auch Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer nimmt. Insbesondere bei Einfädelmanövern, die immer wieder nicht nur zu Staus führen, sondern auch des Öfteren Unfälle zur Folge haben, entscheidet „Jack“ je nach gewähltem Fahrprofil, ob sich die Verkehrssituation durch Beschleunigen oder Bremsen harmonisch für alle regeln lässt. Damit zeigt sich aber zugleich, dass autonome Fahrzeuge vor allem im Bereich der aktiven Sicherheit neue Akzente setzen. Die passiven Sicherheitssysteme werden hingegen oftmals im selben Umfang beibehalten, wie dies heute schon bei modernen Fahrzeugen der Fall ist.
Damit stellt sich die Frage, ob die passiven Sicherheitssysteme heute ein Niveau erreicht haben, das sich kaum noch verbessern lässt? Gleichzeitig muss man sich Gedanken machen, ob auch passive Sicherheitsmerkmale sich nicht ändern, wenn das Fahrzeug zum Fahrer wird und neue Innenraumkonzepte ein Mehr an Komfort bieten sollen. Am Beispiel des sehr futuristisch wirkenden Forschungsfahrzeugs F 015 Luxury in Motion von Mercedes-Benz wollen wir einige passive Sicherheitssysteme und deren Einsatz im autonomen Fahrzeug diskutieren. Der Name ist Programm im Innenraum des F 015: eine „Luxus-Lounge“ mit allen Annehmlichkeiten, um die autonome Fahrt so angenehm wie möglich zu gestalten und Nutzen aus der neu gewonnenen Zeit zu ziehen. Daher verfügt dieser nicht nur über sinnlich- fließende Übergänge, warme organische Materialien und allerlei Bildschirme, sondern auch über ein variables Sitzsystem mit vier drehbaren Lounge-Chairs, sodass eine Vis-à-vis-Konstellation der Sitze möglich ist. Doch dieses System stellt einige Herausforderungen an die passiven Sicherheitssysteme: Trotz der Drehbarkeit der Sitze ist eine Verwendung von Dreipunktgurten auf allen Sitzen seit 1. Juli 2004 gesetzlich in Deutschland vorgeschrieben. Um eine Drehbarkeit der Sitze dennoch gewährleisten zu können, müssten alle drei Befestigungspunkte am Sitz festgemacht werden; alternativ könnte ein dritter Befestigungspunkt aber auch in einem Schienensystem im Dachhimmel verankert sein.
Betroffen von der Entwicklung zum autonomen Fahrzeug wäre aber auch ein zweites passives Sicherheitsmerkmal: die Airbags. Oftmals werden in Konzepten oder Forschungsfahrzeugen Steuerelemente wie das Lenkrad oder die Pedale wegrationalisiert oder zumindest „außer Betrieb“ gesetzt und in das Armaturenbrett versenkt. So verzichtet beispielsweise das Google-Auto vollkommen auf ein Lenkrad und ein Pedalsystem. Dadurch ist es dem „Fahrzeugführer“, wenn man überhaupt noch davon sprechen kann, nicht mehr möglich, in das Fahrgeschehen einzugreifen; einzig ein großer roter Knopf für einen Nothalt des Fahrzeugs ist vorhanden. Das Fehlen einer Lenkeinheit hat zur Folge, dass auch der Fahrerairbag möglicherweise durch einen zweiten Frontairbag, ähnlich dem eines Beifahrerairbags, ersetzt werden müsste. Dies stellt sicherlich nicht ein Problem dar. Anders sieht es hingegen beim F 015 aus: Bei zum Innenraum gedrehten Vordersitzen müssen Frontairbags deaktiviert sein, da es analog wie beim Einsatz von Babyschalen auf dem Beifahrersitz sonst zu schweren Verletzungen kommen könnte. Gleichzeitig beeinflusst die Drehbarkeit der Sitze aber auch alle anderen im Fahrzeug verbauten Airbagsysteme, da sich heute verbaute Systeme an der normalen Sitzposition orientieren und ihre Schutzwirkung nur dann optimal entfalten, wenn sich der Insasse auch in dieser Position befindet. Daher muss der Innenraum in einem autonomen Fahrzeug mit drehbaren Sitzen ständig überwacht und die einzelnen Sicherheitssysteme müssen je nach Position der Insassen gesteuert werden. Ähnliches gilt unter anderem für Fahrzeuge, die beispielsweise eine Liegefunktion während der Fahrt ermöglichen, denn auch hier könnte die eigentliche Schutzwirkung der Airbags zu schweren Verletzungen führen.
Fazit
Das autonome Fahren wird die Mobilität in vielerlei Hinsicht revolutionieren: Dank Car-to-Car-/Car-to-X-Kommunikation kann das Fahrzeug beinahe die Zukunft voraussagen – das wird die Fortbewegung auf der Straße in einem hohen Maß sicherer machen. Gleichzeitig kann sich der Fahrer über ein Mehr an Komfort freuen, da die „lästige“ Aufgabe des Fahrens von einem nahezu fehlerfreien System übernommen wird und er sich dadurch während der Fahrt anderen Aufgaben widmen kann. Doch dieses Mehr an Komfort darf nicht zulasten der Sicherheit gehen: So müssen auch passive Sicherheitssysteme an die neuen Anforderungen angepasst oder weiterentwickelt werden.