
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Auto überholt Sie riskant, bremst Sie anschließend aus und es kracht. Sie sind in dem Falle offensichtlich das Opfer. Allerdings sieht es bei der Unfallaufnahme wie das klassische Auffahr-Missgeschick aus. Ohne Zeugen und mit einem Täter, der sich nicht wahrheitsgemäß als Geschädigter ausgibt, werden Sie Probleme haben, das Gegenteil zu beweisen.
Was könnte in so einer Situation also helfen? Die Antwort: eine Kamera im Auto, die während der Fahrt aufzeichnet, um eventuelle Unfälle und das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer zu dokumentieren. Eine sogenannte CarCam (oder auch: Dashcam) wird per Saugnapf an der Windschutzscheibe oder am Armaturenbrett befestigt und über einen integrierten Akku oder den Zigarettenanzünder mit Strom versorgt. Die Minikamera nimmt das Fahrtgeschehen auf und speichert es auf einer entsprechenden Speicherkarte. Ältere Videosegmente werden in einer Endlosschleife (Ringspeicher) überschrieben. Im Bedarfsfall kann zudem eine sogenannte Notfallaufzeichnung gestartet werden, die gegen Überschreiben gesichert ist.
Die Preise für CarCams variieren sehr stark: So sind beispielsweise kostenfreie CarCam-Apps für das Smartphone verfügbar, die Preise für losgelöste Modelle starten bei circa 25 Euro und gehen hoch bis etwa 350 Euro. Bei den meisten Modellen ist eine MicroSD-Speicherkarte inklusive, die 32 GB Platz und somit Raum für rund acht Stunden Aufnahmen bietet. Einige wenige Modelle besitzen zudem auch einen kleineren integrierten Speicher. Fast alle CarCams zeichnen die Videos in Full-HD-Auflösung (1.920x1.080 Pixel) auf. Allerdings ist die Qualität nicht mit Camcordern oder guten Smartphone-Kameras vergleichbar. Viele CarCams können neben Videos auch Fotos machen. Diese Funktion bietet sich besonders für die Dokumentation nach einem Unfall an.
Ein wesentlicher Unterschied bei den verschiedenen Modellen findet sich im Bereich der Akkulaufzeit. So sind teilweise CarCams ohne Akku auf dem Markt, die nur in Verbindung mit einer externen Stromquelle funktionieren. Durchschnittliche Akkus bei CarCams halten circa 30 bis 40 Minuten, bei besseren Akkus reicht die vollständige Ladung für etwa 120 Minuten. Hochwertige Geräte bieten darüber hinaus auch einen GPS-Sensor sowie einen Nachtmodus an.
Verstoß gegen das Grundgesetz
Anfang 2013 gingen spektakuläre CarCam-Aufnahmen um die Welt, die einen Meteoriten-Einschlag im russischen Gebiet Tscheljabinsk zeigten. Auch zahlreiche Unfall-Videos, aufgezeichnet von Dashcams, kursieren bereits seit einiger Zeit auf der Onlinevideoplattform YouTube. Während in Russland und den USA das „CarCaming“ bereits gang und gäbe ist, hat es sich in Deutschland noch nicht so stark verbreitet. Ein Grund hierfür liegt sicherlich auch in der nicht eindeutigen Rechtslage.
Der ADAC weist darauf hin, dass Dashcams gegen die Bestimmungen des Datenschutzes verstoßen können. „Wer diese Aufzeichnungen ins Internet stellt und so der Öffentlichkeit zugänglich macht, ohne Personen und Autokennzeichen unkenntlich gemacht zu haben, hat ohne Zustimmung der Beteiligten gegen deren Recht auf informelle Selbstbestimmung verstoßen“, so der Automobilclub auf seiner Homepage. Autofahrer würden damit also gegen Artikel 2 des Grundgesetzes verstoßen.
Anwälte sehen den Einsatz von CarCams als prinzipiell unzulässig an. Die Betonung liegt hier allerdings auf dem Wort „prinzipiell“. Nach dem Beschluss der Aufsichtsbehörden für den Datenschutz ist eine Videoüberwachung aus Fahrzeugen heraus zum Zweck der Dokumentation eines eventuellen Unfalls unzulässig. Eine Beobachtung und Aufzeichnung mittels Videokamera ist nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 BDSG nur zulässig, soweit dies zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.
So weit die Theorie, in der Praxis gab es im Juni 2013 ein erstes Urteil zur Thematik CarCams. Das Amtsgericht München entschied über einen Fall, bei dem ein Verkehrsunfall mit einer auf einem Fahrrad montierten Kamera gefilmt wurde (AG München, Urteil vom 06. Juni 2013 – 343 C 4445/13).
Bei dem Verkehrsunfall waren ein Auto und ein Fahrradfahrer beteiligt. Der Radfahrer klagte. Er hatte eine Kamera an seinem Fahrrad installiert, die zweckungebunden seine Fahrt filmen sollte. Der Beklagte, der Autofahrer, überholte den Kläger und bremste daraufhin verkehrsbedingt abrupt ab. Folglich bremste auch der Kläger stark, wobei er stürzte und sich verletzte. Auch sein Fahrrad wurde bei dem Unfall in Mitleidenschaft gezogen. Die Reparatur- und Arztkosten beliefen sich auf insgesamt 3.000 Euro. Der Radfahrer verlangte diesen Betrag nun von dem Beklagten als Schadensersatz und Schmerzensgeld. Er begründete dies damit, dass der Autofahrer Schuld an dem Unfall hatte, da dieser ihn durch das überraschende Abbremsen maßregeln wollte. Bereits bei dem Überholvorgang hatte er das nach Ansicht des Klägers durch das Zeigen des Mittelfingers bewiesen. Dies wollte der Radfahrer durch das Video beweisen. Der Beklagte wies dies jedoch zurück und widersprach der Verwendung des Videos im Prozess, da er sich dadurch in seinen Grundrechten verletzt sah.
Interessenabwägung
Die Frage, ob ein privat aufgenommenes Video in einem Zivilprozess zu Beweiszwecken verwendet werden darf, hängt von einer Interessenabwägung der beteiligten Personen ab. Dabei sind die Persönlichkeitsrechte der aufgezeichneten Person gegen das Verwertungsinteresse des Aufzeichnenden abzuwägen. Das Gericht entschied, dass die Verwertung derartiger Aufnahmen zulässig sein kann, wenn zum Zeitpunkt der Aufnahme damit noch kein bestimmter Zweck verfolgt wurde und das Video erst später der Beweissicherung dient. In diesem Fall ergab die Interessenabwägung, dass eine Verwertung gerechtfertigt ist. Zwar lag eine ungewollte Veröffentlichung vor, jedoch haben sich die Interessen der Beteiligten nach dem Unfall geändert, denn das Video sollte nun als Beweismittel verwendet werden. Der Kläger hatte nun ein berechtigtes Interesse, Beweise zu sichern. Nach Ansicht des Gerichts überwog dieses Verwertungsinteresse des Klägers gegenüber den Interessen des unfreiwillig gefilmten Beklagten. Das Video wurde folglich im Prozess als Beweismittel verwendet.
Für den Radfahrer wirkten sich die Aufnahmen im Verfahren jedoch nachteilig aus. Denn das Gericht stellte fest, dass er zu wenig Abstand gehalten, das Auto nicht berührt und dessen Fahrer einen verkehrsbedingten Grund zum Abbremsen hatte. Zudem war auch die behauptete Maßregelung und angebliche Geste des Autofahrers im Video nicht nachweisbar. Dieses Verfahren macht deutlich, dass sich Videoaufzeichnungen somit auch gegen den Besitzer richten können.
Weitere Urteile zeigen jedoch, dass CarCam-Nutzer von den Aufnahmen oftmals profitieren. So konnte beispielsweise in einem Fall in Nürnberg mithilfe einer CarCam nachgewiesen werden, dass der CarCam-Besitzer von einem anderen Fahrzeug ausgebremst wurde und nicht aus eigenem Verschulden aufgefahren war. Der Unfallverursacher wurde aufgrund des Videos wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und Nötigung zu einer Geldstrafe von drei Monatsgehältern verurteilt. Zudem wurde ihm die Fahrerlaubnis für 21 Monate entzogen.
Lohnenswert?
Hauptsächlich werden CarCams in Deutschland derzeit bei Lkw oder Bussen eingebaut und dienen der Kontrolle von Fuhrpark und Angestellten. Auch Taxi-Fuhrparkleiter Dirk Holl verwendet seit 2011 CarCams, zu Beginn testweise in einem Fahrzeug, das ständig in Unfälle verwickelt war. „Nach dem Einbau kam es nur noch einmal zu einem Unfall und dort konnten wir, trotz anderslautender Zeugenaussagen, die Unschuld unseres Mitarbeiters beweisen“, erklärt Holl gegenüber Flottenmanagement. Anschließend ließ er in 22 seiner Fahrzeuge eine Kamera einbauen. Auch wenn sich das Fahrverhalten seiner Angestellten laut deren Angaben nicht bewusst verändert hat, beweisen die Zahlen das Gegenteil. „Die Anzahl der verschuldeten Unfälle ist stark rückläufig und auch die Kosten für Verschleißmaterialien, wie Bremsen und Reifen, sind um 13 Prozent gesunken“, erläutert Holl.
Insbesondere aufgrund des Datenschutzes wird diese Art der Kontrolle bezüglich Leistung und Verhalten nicht von allen Fuhrpark-Angestellten gerne gesehen. Holl konnte sein Personal jedoch überzeugen: „Da wir schon sehr viele Unfälle durch den Videobeweis zugunsten unseres Fahrpersonals lösen konnten, haben wir eine sehr hohe Akzeptanz in der Belegschaft. Auch speichern wir nur ereignisbezogen und die Daten werden nach circa zehn Stunden wieder überschrieben.“ Firmenintern sollte man sich also vorab darüber verständigen, ob und wie lange Aufzeichnungen gespeichert werden und dem Vorgesetzten zugänglich sind.
Im Transporterbereich haben sich CarCams bis jetzt noch nicht etabliert. Große Paketdienstleister wie beispielsweise Hermes nutzen in ihren Flotten aktuell keine derartigen Kameras. Auf Flottenmanagement-Anfrage bestätigten sie allerdings, die Entwicklung „mit hohem Interesse“ zu verfolgen.
Fazit
Der Einsatz von CarCams bringt Vor- und Nachteile mit sich. Auf der einen Seite ist die rechtliche Lage (noch) unsicher und damit der Nutzen fraglich. Problematisch könnte sich auch das Kontrollieren der Angestellten mithilfe der Daten von CarCams darstellen. Hier müsste eine einvernehmliche Lösung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, wie bei Dirk Holl, gefunden werden. Auf der anderen Seite kann sich eine Anschaffung lohnen, wenn die Autos im Fuhrpark sehr viel unterwegs sind und eine hohe Unfallquote vorliegt. Die Aufzeichnungen wurden in bisherigen Gerichtsurteilen in Deutschland in der Regel als Beweismittel akzeptiert, eine Sicherheit oder ein entsprechendes Gesetz gibt es dafür jedoch nicht. Zu bedenken ist: Eine CarCam kann bei einem Unfall beschlagnahmt und die darauf gespeicherten Daten können bei Verkehrsverstößen auch gegen den Besitzer selbst verwendet werden. Aufpassen sollte man zudem bei Fahrten ins Ausland, denn in einigen Nachbarländern (unter anderem Österreich) ist die Nutzung von CarCams nicht erlaubt.