Schadenmanagement digital

Interview mit Bernd Grüninger (Bereichsleiter Gutachten und Mitglied der Geschäftsleitung bei der DEKRA Automobil GmbH) und Christoph Mennicken (Senior Vice President DEKRA Group)

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Flottenmanagement: DEKRA ist vielen insbesondere als Sachverständigenorganisation bekannt. Womit befasst sich der Geschäftsbereich „Automotive“ im Detail und wie lässt sich dieser innerhalb der Konzernstruktur einordnen

Bernd Grüninger: Die DEKRA Automobil GmbH ist die größte Tochtergesellschaft der DEKRA SE. Aktuell sind bei uns etwa 12.000 Mitarbeiter beschäftigt. Gleichzeitig findet sich in der DEKRA Automobil GmbH auch der Ursprung, also das Kerngeschäft, woraus die DEKRA SE gewachsen ist: die periodische Fahrzeugüberwachung, also die Hauptuntersuchung. Sukzessive wurden immer mehr naheliegende begleitende Dienstleistungen angeboten. So unterstützen wir Autohäuser nicht nur beim Thema Hauptuntersuchung, sondern auch in anderen Fällen, wenn ein Sachverständiger benötigt wird, wie bei der Begutachtung von Unfallschäden oder eines Fahrzeugs am Ende der Leasingzeit. Über die Jahrzehnte hinweg hat sich das Portfolio der DEKRA Automobil weiterentwickelt. Wenn wir auf den Konzern schauen, ist DEKRA auch in Bereichen wie Auditierung, Zertifizierung und Beratung zu finden, und das dann nicht nur auf den Automobilsektor beschränkt.

Christoph Mennicken: Der DEKRA-Konzern hat verschiedene Sparten wie Industrieprüfung, Zeitarbeit, Produktprüfung oder eben Automotive. In Deutschland sind in dieser Sparte zum Beispiel die DEKRA Claims Services, die sich mit der Schadenabwicklung beschäftigt, die DEKRA Automobil, die sich mit Fahrzeugprüfung, Unfallanalytik, Gebrauchtwagenmanagement und Schadengutachten beschäftigt, die GKK in Düsseldorf, die Zustandsberichte, aber auch Schadengutachten anfertigt, oder die DEKRA Automotive Solutions in Frankfurt, die Zustandsberichte und Remarketing-Dienstleistungen für Flotten anbietet.

Flottenmanagement: DEKRA möchte zu seinem 100-jährigen Bestehen im Jahr 2025 der globale Partner für eine sichere und nachhaltige Welt sein. Wo sehen Sie im Straßenverkehr aktuell Handlungsbedarf für ein Mehr an Sicherheit

Christoph Mennicken: Ich war in der DEKRA Automobil lange für das Qualitätsmanagement zuständig und dort gibt es den Begriff des Qualitätszirkels. Das bedeutet einen vierstufigen Prozess aus Planung, Durchführung, Überprüfung und Agieren. Diesen Begriff kann man auch auf den Sicherheitsbereich übertragen und eine Art Safety Cycle kreieren, also eine Betreuung über den gesamten Kreislauf der Sicherheit hinweg. Das fängt dann mit Homologationsdienstleistungen für Fahrzeuge und Komponenten an, geht über Beratungsthemen wie beispielsweise Arbeitssicherheit in Werkstätten sowie Prüfdienstleistungen, die auf die Sicherheit des Fahrzeugs im Betrieb fokussieren, und endet dann eben im Schadenbereich. Gerade dieser letzte Schritt ist entscheidend, um einen solchen Kreislauf anstoßen zu können: Wir analysieren, wie ein Schaden oder ein Unfall zustande kam, und überlegen: Was müssen wir aus den Unfällen lernen, um diese in Zukunft zu vermeiden oder zumindest die Folgen mindern zu können

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Bernd Grüninger: Ein wesentlicher Faktor ist hier unsere Abteilung Unfallforschung, wo wir auch an EU-Projekten mitarbeiten und verschiedenen Akteuren beratend zur Seite stehen. So erscheint jährlich der DEKRA Verkehrssicherheitsreport, der das Unfallgeschehen aus verschiedenen Perspektiven analysiert und Denkanstöße liefert, um einen Beitrag zu leisten, damit auf den Straßen möglichst noch weniger Menschen getötet oder verletzt werden.

Flottenmanagement: Statistisch gesehen passiert einem ein Verkehrsunfall in Deutschland alle acht Jahre. Zum Glück sind es oft nur Blechschäden, doch auch die ziehen Konsequenzen nach sich. Schnell sind dann unabhängige Gutachten im Spiel, um die Höhe der Schäden zu ermitteln. Welche Sachverständigendienstleistungen bietet DEKRA im Kfz-Bereich an? Wie differenzieren sich diese voneinander

Bernd Grüninger: Unsere Kerndienstleistung ist das vollumfängliche Schadengutachten. Damit ist ein Geschädigter auch vor Gericht so aufgestellt, dass er seine Ansprüche geltend machen kann. Dabei lehnen wir uns an die Vorgaben des Instituts für Sachverständigenwesen an, das entsprechende Leitfäden definiert hat. So genügen all unsere Inhalte in den Dienstleistungen nicht nur diesen Leitsätzen, sondern orientieren sich auch sehr genau an geltendem Recht, wo teilweise noch einmal detaillierter auf bestimmte Themen eingegangen wird. In den letzten Jahren hat die Schadenabwicklung noch einmal mehr Dynamik entwickelt: Versicherer versuchen, relativ schnell bei der Schadenregulierung selbst aktiv zu werden, und stellen zu Recht die Frage, ob bei jeder Abwicklung ein vollumfängliches Schadengutachten notwendig ist oder nicht auch eine kostengünstigere, schlankere Dienstleistung genügt. Dort gehen wir auf die Bedürfnisse der Versicherer ein und bieten sogenannte Regulierungshilfen. Die Regulierung kann auf Grundlage einer einfachen Kalkulation durchgeführt werden, wenn sich die Parteien einig sind. Wenn wir auf die Flotten schauen, haben die Unternehmen sehr genaue Vorstellungen, wie das Handling der Fahrzeuge auszusehen hat. Wir haben zum Beispiel immer häufiger den Fall, dass der Fuhrpark über keine Kaskoversicherung verfügt, sondern das Unternehmen für Schäden an seinen Fahrzeugen selbst aufkommt. Dementsprechend haben diese Unternehmen andere Ansprüche an unsere Dienstleistungen: Es geht möglicherweise nur darum, ob ein Schaden repariert werden muss, da das Fahrzeug nicht mehr verkehrssicher ist, oder ob das Fahrzeug so weiter betrieben werden kann. Zusammengefasst kann man sagen: Wir beobachten den Markt sehr genau und versuchen, alle Beteiligten mit der jeweils passenden Dienstleistung zu bedienen.

Christoph Mennicken: Während man als Privatperson einen Unfallschaden nur sehr selten erlebt, steigt die Anzahl der Schadenfälle natürlich mit der Anzahl der Fahrzeuge. Bei großen Flotten treffen wir auf Fuhrparkverantwortliche, die man als Profis bei der Schadenabwicklung bezeichnen muss. Sowohl dem Laien als auch dem Profi geben wir mit unserem digitalen Schadenmanagement nun Gelegenheit, die versteckten Potenziale, die auf dem traditionellen Weg der Schadenbearbeitung existieren, zu heben. Es geht darum, dass auf der einen Seite ein Geschädigter, der völlig unbedarft in den Schadenfall kommt, mit einer einfachen Schadenmeldung abgeholt wird, und auf der anderen Seite genauso der Profi, der an diese Schadenmeldung inklusive Schnittstellen und allen möglichen Automatisierungen angebunden ist. Im Endeffekt wird der ganze Schadenmeldeprozess digitalisiert, standardisiert und in ein einheitliches Format gebracht. Auf dieser Grundlage können dann Folgeprozesse ganz anders aufgesetzt werden, was die gesamte Schadenbearbeitung sehr viel professioneller macht. Man könnte fast schon von einem digitalen Sachverständigen sprechen. Der ersetzt natürlich nicht den physischen Sachverständigen, kann aber schon einmal eine erste Tendenz geben, wie ein Schadenfall gelagert ist und wie damit umzugehen ist. Dadurch sind unsere Kunden auch in der Lage, sehr schnell eine mögliche Reparatur anzustoßen. Ein Flottenkunde hat durch das digitale Schadenmanagement natürlich sämtliche Informationen und später auch Auswertungsmöglichkeiten über Dashboards. Mit diesem Höchstmaß an Transparenz ist es ihm dann möglich, die Flotte sehr effizient zu steuern, was den Umgang mit Schäden angeht.

Flottenmanagement: Sie haben es gerade angesprochen: Anfang dieses Jahres hat DEKRA gemeinsam mit dem Schweizer Unternehmen Spearhead, an dem die Prüforganisation beteiligt ist, ein digitales Schadenmanagementangebot geschaffen. Könnten Sie bitte kurz erläutern, was das Unternehmen Spearhead so besonders macht

Bernd Grüninger: Die Firma Spearhead ist bereits 2016 auf uns zugekommen, um für die Entwicklung eines digitalen Schadenmanagements an Schadengutachten zu gelangen. Wir hatten uns damals dazu entschlossen, unsere Daten zur Verfügung zu stellen, uns aber mit einem Kooperationsvertrag eine gewisse Exklusivität gesichert. Die Grundidee des Systems bestand darin, einen Schaden zunächst auf Grundlage von Telematikdaten wie Anstoßwinkel, Geschwindigkeit et cetera zu erfassen, um sehr schnell und präzise ein Unfallmuster zu erstellen und – anhand unserer Daten – auch eine Aussage über die Schadenhöhe treffen zu können. Die Schwierigkeit bestand aber darin, an Telematikdaten zu kommen, da bisher nur wenige Fahrzeuge über Telematiksysteme verfügen und wenn, diese nicht einheitlich sind. Das hat dazu geführt, dass ein dynamischer Fragebogen zum Einsatz kam, der später durch eine KI-gestützte Bilderkennung erweitert wurde. Seit 2021 sind wir Anteilseigner am Unternehmen Spearhead.

Flottenmanagement: Welche Voraussetzungen müssen Fahrzeugflotten erfüllen, um dieses digitale Schadenmanagementangebot in Anspruch zu nehmen? Könnten Sie die typische Funktionsweise Ihres neuen Angebots einmal kurz skizzieren und wie sich dadurch sowohl das Nutzererlebnis steigern als auch die Schadensteuerung effizienter gestalten lässt

Christoph Mennicken: Aufgrund des dynamischen Fragebogens gibt es hinsichtlich des Fahrzeugs keine Mindestvoraussetzungen. Aber je mehr Vorteile der Kunde nutzen möchte, desto höher werden auch die technischen Anforderungen. Das heißt, die digitale Schadenmeldung kann im einfachsten Fall der Geschädigte an seinem Rechner oder Smartphone ausfüllen. Wenn Telematikdaten für das Fahrzeug zur Verfügung stehen, kann beispielsweise ein Fuhrparkverantwortlicher auf einen Fahrzeugnutzer aktiv im Schadenfall zugehen und hat gleichzeitig ein deutliches Plus an Informationen – während der Fahrzeugnutzer weiterhin nur die Schadenmeldung ausfüllt, in der dann aber schon die aus der Telematik gewonnenen Informationen enthalten sind. Werden zusätzlich noch Bilder hochgeladen, sind die Aussagen aus unserem System schon sehr präzise, was die Schadenbearbeitung dann auch deutlich beschleunigt.

Grundsätzlich muss man festhalten, dass unser digitales Schadenmanagement keine Dienstleistung aus dem Katalog ist, sondern eigentlich eine Plattform, auf der kundenindividuelle Schadenprozesse realisiert werden. Am Anfang setzen wir uns mit jedem Kunden zusammen und analysieren seine Bedürfnisse: Welche Regeln und welche Schwellenwerte sollen berücksichtigt werden? Wie sollen die Eingangs- und Ausgangskanäle aussehen, auch hinsichtlich der Anbindung von Versicherern und weiteren Dienstleistern? Am Ende ist unser digitales Schadenmanagement so auf die Kundenbedürfnisse abgestimmt, dass sich selbst die Eingangskanäle für die Schadenmeldungen je nach Kunde unterscheiden: Der eine Kunde verschickt den Link für die Schadenmeldung an den Geschädigten, der diesen Fragebogen ausfüllt. Ein anderer Kunde nimmt ein Callcenter zur Hilfe, das den Geschädigten zum Schadenfall befragt und die Schadenmeldung für ihn ausfüllt. Und ein weiterer Kunde nutzt bereits viele Telematikdaten, wodurch ein Geschädigter, wenn überhaupt, nur noch wenige Lücken in der Schadenmeldung auszufüllen hat. Wenn wir dann etwas in die Zukunft schauen, kann der Dialog mit dem Kunden in Sachen Schadenmeldung auch über einen Chatbot erfolgen.

Flottenmanagement: Welche Bedeutung kommt den Themen Big Data sowie künstliche Intelligenz im Bereich Bilderkennung in diesem Zusammenhang zu? Wie wird dabei die Sicherheit der teilweise sensiblen Daten sichergestellt

Christoph Mennicken: Als Sachverständigenorganisation schauen wir bei jedem Prozess, jedem Vorgang und auch jeder Dienstleistung ohnehin sehr genau auf den Datenschutz und die Datensicherheit. Das heißt, vertraglich sind bereits alle datenschutzrechtlichen Themen von der Quelle bis zur Verarbeitung geregelt. Zusätzlich haben wir mit allen unseren Subunternehmen auch Datenschutzvereinbarungen. Durch den Einsatz von KI und deren Training ist noch einmal eine neue Dimension dazugekommen.

Flottenmanagement: Last, but not least: Wie wird sich der Bereich Schadenmanagement Ihrer Meinung nach mittel- und langfristig entwickeln? Wird ein digitales Schadenmanagementangebot zukünftig zum Standard

Bernd Grüninger: Ich bin der Meinung, dass an der Digitalisierung kein Weg vorbeiführt, ganz egal, ob wir auf unser operatives Geschäft mit den Sachverständigen schauen oder auf die Sachbearbeitung bei einer Versicherung. Gleichzeitig wird Ihnen auch jedes Unternehmen vom Fachkräftemangel berichten. Der Weg hin zu digitalen Lösungen ist einerseits aufgrund des Personalmangels unausweichlich, andererseits aber auch wegen der Optimierungspotenziale, die dadurch gehoben werden können. Wie der Weg am Ende aussieht, wird sicherlich sehr unterschiedlich sein. Wir haben nun gemeinsam mit Spearhead ein vollumfängliches digitales Schadenmanagement auf den Weg gebracht, was eben nicht nur ein digitaler Fragebogen für den Schadenfall ist, um eine erste Einschätzung des Schadens zu bekommen, sondern alle Akteure und unsere Sachverständigendienstleistungen mit einbindet.

 

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