Unerlaubte Privatnutzung von Dienstwagen: Abmahnung oder Kündigung?

<p>Die Gestattung der Privatnutzung von Firmenfahrzeugen ist bei Motivationsfahrzeugen, die Mitarbeitern für einen längeren Zeitraum individuell zugeordnet sind, der Regelfall. In diesen Fällen wird der geldwerte Vorteil aus der Privatnutzung entsprechend — meist pauschal nach der 1-Prozent-Regel — versteuert und taucht dann monatlich auf dem Lohnzettel auf. Anders sieht es jedoch bei Abteilungs- und Poolfahrzeugen aus, die regelmäßig nur für rein dienstliche Zwecke überlassen werden.</p>

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Privatnutzung — erlaubt oder verboten
Eine Privatnutzung dieser Fahrzeuge ist meist sogar ausdrücklich untersagt. Dennoch kommt es in der Fuhrparkpraxis häufiger vor, dass Mitarbeiter solche Firmenfahrzeuge, die eigentlich nur für dienstliche Zwecke zur Verfügung stehen, vereinzelt zu Privatzwecken nutzen dürfen. Eine entsprechende Vereinbarung ergibt sich dann nicht bereits aus den Nutzungsregelungen für den Fahrzeugpool, denn Poolfahrzeugregelungen beinhalten meist ein explizites Privatnutzungsverbot. Als Grundlage einer Privatnutzung kommen hier vielmehr mündliche Absprachen mit dem unmittelbaren Dienstvorgesetzten in Betracht. Das bedeutet, ohne eine entsprechende Kommunikation geht eine Privatnutzung meist völlig an der Fuhrparkverwaltung vorbei. Kommt es während einer Privatfahrt dann zu Verkehrsordnungswidrigkeiten mit dem Firmenfahrzeug oder sogar zu (Unfall-) Beschädigungen desselben, fallen solche Unregelmäßigkeiten aber auf.

Das gilt im Grundsatz für die unerlaubte private Nutzung
Bei der Überlassung von Firmenfahrzeugen sollte eindeutig geregelt werden, ob das zur Verfügung gestellte Fahrzeug ausschließlich zu dienstlichen Zwecken oder aber auch zur (teilweisen) privaten Nutzung überlassen worden ist. Fehlt eine entsprechende konkrete schriftliche Absprache, ist – mit anderen Worten – die Privatnutzung nicht ausdrücklich erlaubt, dann darf der Arbeitnehmer das Fahrzeug nur zu dienstlichen Zwecken beziehungsweise für dienstlich veranlasste Fahrten nutzen. Nutzt der Mitarbeiter das Fahrzeug dennoch privat – das gilt auch für Wegefahrten –, verstößt er gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten und riskiert damit arbeitsrechtliche Schritte des Arbeitgebers.

Der Arbeitnehmer ist nach § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Die private Nutzung eines Dienstfahrzeugs ohne Erlaubnis des Arbeitgebers kann sowohl eine außerordentliche als auch eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. Dies hatte auch bereits das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz mit Urteil vom 24. Januar 2019 (Az. 5 Sa 291/18) entschieden.

Die unerlaubte Privatnutzung eines Dienstfahrzeugs stellt regelmäßig einen unbefugten Gebrauch eines Kraftfahrzeugs nach § 248b des Strafgesetzbuchs (StGB) dar, wenn dies gegen den Willen des Arbeitgebers erfolgt. Eine unbefugte Ingebrauchnahme liegt also bei einem ausdrücklichen Privatnutzungsverbot des Arbeitgebers regelmäßig vor und erfüllt somit einen Straftatbestand. Außerdem wird das Vermögen des Arbeitgebers durch den Verbrauch von Treibstoff und die Abnutzung des Fahrzeugs verletzt, was zusätzlich eine Unterschlagung nach § 246 StGB oder sogar eine Untreue nach § 266 StGB darstellen kann. Auch wenn arbeitsrechtlich für die Beurteilung einer Pflichtverletzung im Rahmen einer Kündigung deren strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend ist, kann eine unerlaubte Privatfahrt ernsthafte Konsequenzen haben.

Aktuelle landesarbeitsgerichtliche Entscheidung zur unerlaubten Privatnutzung 
Wie sich aus einer aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern ergibt, steht mitunter sogar der Job des Mitarbeiters auf dem Spiel, der unerlaubt mit dem Dienstwagen private Fahrten erledigt hat (vgl. LArbG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21.06.2022, Az. 5 Sa 245/21).

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Aktuelles Magazin

Ausgabe 5/2022

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Sonderausgabe Elektro

Das neue Jahresspecial Elektromobilität.

Beleuchtet alle Aspekte der batteriebetriebenen Mobilität im Unternehmen

In dem zugrunde liegenden Fall nutzte ein Mitarbeiter an einem Samstagnachmittag einen Betriebstransporter Mercedes Sprinter zu privaten Zwecken für den Transport eines Balkens. Er fuhr mit dem Fahrzeug eine Strecke von zehn Kilometern. Die Schlüssel zu dem Fahrzeug holte der Mitarbeiter aus einer Halle, die er mit seinem Schlüssel öffnen konnte. Die Kfz-Zulassung befand sich hinter der Sonnenblende. Ein Fahrtenbuch für den Transporter gab es nicht. Der Mitarbeiter stellte den Transporter nach der Fahrt wieder auf dem Betriebsgelände ab, ohne ihn zu betanken. Am darauffolgenden Dienstag ließ sich der Transporter nicht mehr starten und wurde später in einer Werkstatt repariert. Das war auch der Grund, warum die Privatfahrt aufgefallen ist. Eine knappe Woche später kam dann die dicke Überraschung: Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin.

Der Mitarbeiter wendete gegen die außerordentliche Kündigung ein, dass diese unwirksam sei. Denn bis kurz vor der unstreitigen Privatfahrt sei es im Unternehmen gängige Praxis gewesen, Firmenfahrzeuge zu privaten Zwecken für einen kurzen Zeitraum nutzen zu dürfen. Der Fuhrparkleiter habe regelmäßig sein Einverständnis hierzu erteilt. An dem betreffenden Samstag habe der Mitarbeiter jedoch den Fuhrparkleiter nicht fragen können, weil dieser nicht im Dienst gewesen sei. Der Mitarbeiter habe den Transporter aber kurzfristig benötigt, um einen Stützbalken zu transportieren. Angesichts der bisherigen unproblematischen Praxis einer nachträglichen Genehmigung sei er deshalb davon ausgegangen, dass der Fuhrparkleiter keine Einwände gegen eine kurzzeitige private Nutzung erheben werde. War das falsch gedacht

Das LArbG Mecklenburg-Vorpommern hat dazu klar Stellung bezogen: Hat ein Arbeitgeber in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet und nutzt sodann ein Arbeitnehmer das Fahrzeug ohne Erlaubnis mangels Möglichkeit einer Kontaktaufnahme zum Vorgesetzten, kann es vor Ausspruch einer Kündigung erforderlich sein, diese Pflichtverletzung abzumahnen.

Abmahnung und verhaltensbedingte Kündigung bei unerlaubter Privatfahrt
Das Gericht sah in der kurzzeitigen Nutzung des Transporters für private Zwecke ohne vorherige Einholung der Zustimmung eines Vorgesetzten eine Verletzung arbeitsrechtlicher Pflichten. Diese Pflichtverletzung belastete das Arbeitsverhältnis aber nicht so schwer, dass selbst eine einmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Mitarbeiter erkennbar – ausgeschlossen ist. Eine Abmahnung war daher nicht entbehrlich.

Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen unerlaubter Privatnutzung eines Firmenfahrzeugs setzt deshalb eine vorherige Abmahnung voraus, wenn der Arbeitgeber eine solche Privatnutzung in Einzelfällen zuvor unbeanstandet geduldet hat. Nachdem der Arbeitgeber in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet hatte, war es für den Arbeitnehmer nicht eindeutig und klar erkennbar, dass der Arbeitgeber nunmehr eine private Nutzung keinesfalls mehr erlauben wird und jede Zuwiderhandlung den Bestand des Arbeitsverhältnisses unmittelbar gefährden kann. Eine entsprechende schriftliche Dienstanweisung gab es nicht und eine hinreichend klare und eindeutige mündliche Dienstanweisung lag ebenfalls nicht vor. Das Fehlverhalten des Arbeitnehmers bestand daher darin, dass er nicht vor Antritt der Privatfahrt mit dem Dienstfahrzeug die Zustimmung des Vorgesetzten eingeholt hat. Allerdings durfte der Arbeitnehmer zum damaligen Zeitpunkt noch davon ausgehen, dass er diese Zustimmung erhalten hätte, wenn der Vorgesetzte im Dienst gewesen wäre. Der Arbeitnehmer hat das Firmenfahrzeug außerhalb seiner Arbeitszeit genutzt, also auch nicht gegen seine Pflicht zur Arbeitsleistung verstoßen. Des Weiteren ist er mit dem Transporter nur eine kurze Strecke gefahren. Die Arbeitsabläufe im Betrieb hat er dadurch nicht behindert. Der Arbeitnehmer hat auch nicht versucht, sein Fehlverhalten zu vertuschen, sondern hat auf Nachfrage des Arbeitgebers die Privatnutzung des Transporters sogleich eingeräumt.

In solchen Fällen genügt eine Abmahnung aller Voraussicht nach, um eine derartige Pflichtverletzung zukünftig auszuschließen. Der Arbeitnehmer hatte sich ja auch nicht unbelehrbar gezeigt, sondern hatte zu erkennen gegeben, dass er bereit ist, die Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers über seine Fahrzeuge und die von ihm diesbezüglich erteilten Dienstanweisungen zu respektieren. Anders wäre der Fall wohl zu beurteilen gewesen, wenn der Mitarbeiter sich nicht bereit gezeigt hätte, die Dienstanweisungen des Arbeitgebers für die Dienstfahrzeuge und ein entsprechend ausgesprochenes Privatnutzungsverbot anzuerkennen.

Unbefugte Privatnutzung de facto ausschließen
Fuhrparkmanager sollten deshalb stets im Blick haben, dass Dienstfahrzeuge gegebenenfalls auch ohne eine ausdrückliche Erlaubnis faktisch privat genutzt werden können. Im vorliegenden Fall konnte sich der Mitarbeiter den Schlüssel für den Transporter leicht und ungehindert selbst verschaffen, weil sich dieser im unverschlossenen Fahrzeug hinter der Sonnenblende befand. Einen besseren Platz für eine „Selbstbedienung“ durch Mitarbeiter wird man kaum finden können. Zwar war die Halle, in der sich das Fahrzeug befand, ihrerseits verschlossen; der betreffende Mitarbeiter hatte dafür aber einen Hallenschlüssel und konnte sich deshalb auch außerhalb der Arbeitszeiten selbst Zugang zum Fahrzeug verschaffen. So weit, so schlecht.

Dem kann und muss durch klare Dienstanweisungen sowie technisch-organisatorische Vorkehrungen hinsichtlich der Schlüsselgewalt über die Fahrzeuge begegnet werden. Eine Handhabung der Privatnutzung von Dienstfahrzeugen nach klaren Regelungen und Vorgaben sowie Kontrollen zu ihrer Einhaltung verhindern im Übrigen auch in rechtlicher Hinsicht, dass sich für die Privatnutzung von Dienstwagen in einem Unternehmen womöglich eine unerwünschte sogenannte betriebliche Übung als Rechtsgrundlage bildet. Dies setzt voraus, dass das Fuhrparkmanagement auf die Schaffung entsprechender Dienstanweisungen – beispielsweise in Form einer Poolfahrzeug-Policy oder dergleichen – hinwirkt und die Abläufe bei der Fahrzeug- und Schlüsselübergabe klar und eindeutig regelt. Zugleich müssen Vorkehrungen getroffen werden, um eine unbefugte Fahrzeugnutzung innerhalb und außerhalb der betrieblichen Arbeitszeiten faktisch auszuschließen. Solche Vorkehrungen gegen eine unerlaubte Privatnutzung kann aber nur derjenige treffen, der in seinem Fuhrpark den Überblick behält, potenzielle Lücken im System identifiziert und diese wirksam schließt. Dabei macht es auch Sinn, sich hierbei rechtlich beraten zu lassen.

Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, St. Augustin 
Kontakt: kanzlei@fischer.legal
Internet: www.fischer.legal

 

AUTOR

RECHTSANWALT LUTZ D. FISCHER ist Mitglied der ARGE Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein. Ein besonderer Kompetenzbereich liegt im Bereich des Dienstwagen- und Verkehrsrechts. Als Autor hat er zahlreiche Publikationen zum Dienstwagenrecht veröffentlicht, unter anderem in der Fachzeitschrift „Flottenmanagement“ sowie im Ratgeber „Dienstwagenund Mobilitätsmanagement 2018–2020“ (Kapitel Datenschutz). Als Referent hält er bundesweit offene Seminare und Inhouse-Veranstaltungen zur Dienstwagenüberlassung mit thematischen Bezügen zu Arbeitsrecht, Entgeltabrechnung, Schadenregulierung und -management, Datenschutz sowie Elektromobilität.

 

RECHTSPRECHUNG

VERKEHRSZIVILRECHT

Ausgleichszahlung nach Fluggastrechteverordnung – Zusatzkosten bei Ankunftsverspätung
Bei einem auf einer einheitlichen Buchung beruhenden Flug, der aus zwei Teilflügen besteht, ist ein Unternehmen, das die Buchung erteilt und die Durchführung des zweiten Teilflugs übernommen hat, als ausführendes Unternehmen bezüglich des gesamten Flugs anzusehen. Dies gilt auch dann, wenn die Fluggäste den zweiten Teilflug wegen Verspätung des ersten Teilflugs nicht erreicht haben. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob die einzelnen Teilflüge für sich gesehen in den Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung fallen. BGH, Urteil vom 12.04.2022, Az. X ZR 101/20

Werkstattund Prognoserisiko bei Reparaturkosten 27 Prozent über Schadensgutachten
Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein Verschulden trifft, so sind die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis zum Schädiger auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt im Vergleich zu dem, was für eine entsprechende Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind. Das Werkstatt- und Prognoserisiko geht damit zulasten des Schädigers.

Rechnet die Werkstatt objektiv nicht erforderliche Reparaturmaßnahmen ab, können Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt entstehen, gerichtet auf die Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung des Werklohns oder Rückzahlung der bereits geleisteten Vergütung im Wege des Schadenersatzes. Diese Ansprüche muss der Geschädigte im Wege des Vorteilsausgleichs an die Versicherung des Schädigers abtreten, wenn diese nach den Grundsätzen des Werkstattund Prognoserisikos eine überhöhte Werklohnforderung als erforderlichen Schadenersatz ausgleicht. Der Schädiger beziehungsweise dessen Haftpflichtversicherung kann dann aus abgetretenem Recht von der Werkstatt den Betrag zurückfordern, den sie für nicht erforderliche Reparaturarbeiten nach den Grundsätzen des Werkstatt- und Prognoserisikos ausbezahlt hat.

Der bloße Umstand, dass der von der Werkstatt nach der Durchführung der Reparatur abgerechnete Betrag rund 27 Prozent über der Kalkulation im Schadengutachten liegt, genügt für die Annahme eines Verschuldens des Geschädigten bei der Auswahl und Überwachung der Werkstatt nicht. LG Stuttgart, Urteil vom 03.08.2022, Az. 13 S 43/22

Werkstatt- und Prognoserisiko bei Unfallschaden bei unbezahlter Rechnung
Der Geschädigte kann über den Grundsatz des Werkstattund Prognoserisikos keine Zahlung an sich verlangen, soweit er den Rechnungsbetrag für die Unfallschadenreparatur noch nicht bezahlt hat. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich der Geschädigte auf Kosten des Schädigers bereichert. Am Ende der Schadenabwicklung muss der Schädiger die Möglichkeit haben, nicht erforderliche Reparaturkosten, die er ausschließlich zum Schutz des Geschädigten verauslagt hat, zurückzufordern. Begleicht der Schädiger objektiv nicht erforderliche Reparaturkosten nach dem Grundsatz des Werkstattund Prognoserisikos, muss der Geschädigte im Wege des Vorteilsausgleichs seine etwaigen Schadenersatzansprüche gegen die Werkstatt an den Schädiger abtreten. Ein auf Rückzahlung gerichteter Schadenersatzanspruch des Geschädigten gegen die Werkstatt entsteht allerdings erst in dem Moment, in dem die Werkstatt den Geldbetrag für die nicht erforderlichen Reparaturkosten erhalten hat. Ein etwaiger Rückzahlungsanspruch des Schädigers gegen den Geschädigten dürfte zumeist nur schwer zu realisieren sein. Im Regelfall hat der Schädiger keine Kenntnis darüber, ob der Geschädigte die Zahlung an die Werkstatt weiterleitet. Im Ergebnis wäre damit der Geschädigte durch das Schadenereignis bessergestellt. LG Stuttgart, Urteil vom 03.08.2022, Az. 13 S 43/22

Erneuter deckungsgleicher Unfallschaden am Fahrzeug
Wird ein Fahrzeug in einem vorgeschädigten Bereich erneut (= deckungsgleich) beschädigt und ist die Unfallursächlichkeit der geltend gemachten Schäden deshalb streitig, muss der Geschädigte darlegen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 287 ZPO nachweisen, dass der geltend gemachte Schaden nach Art und Umfang insgesamt oder ein abgrenzbarer Teil hiervon auf das streitgegenständliche Unfallereignis zurückzuführen ist. Wenn feststeht, dass die Schäden „weitgehend“ durch den streitgegenständlichen Unfall entstanden sind und mit diesem Schadenhergang zusammenpassen, ist eine Schätzung nach § 287 ZPO etwa in der Weise möglich, dass eindeutige Vorschäden ausgeschieden werden und bei den verbleibenden Schäden wegen der Unsicherheit, ob weitergehende Vorschäden durch das streitgegenständliche Schadenereignis überdeckt worden sind, ein angemessener Abschlag vorgenommen wird. OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2022, Az. 7 U 82/21

Darlegung von Vorschäden im Schadenersatzprozess
Die Substantiierungsanforderungen im Hinblick auf Art und Ausmaß eines Vorschadens und zu Umfang und Güte einer Vorschadensreparatur dürfen, auch wenn der Vorschaden in die Besitzzeit des Geschädigten fällt, nicht – wie hier – überspannt werden. Hinweise auf eine (vermeintlich) fehlende Substantiierung müssen hinreichend frühzeitig erfolgen und hinreichend konkret sein; erfolgen sie erst in der mündlichen Verhandlung, ist im Einzelfall – wie hier – von Amts wegen Schriftsatznachlass zu gewähren. OLG Hamm, Urteil vom 11.04.2022, Az. 7 U 9/22

Schadenersatz bei Sturz eines Fahrgastes im anfahrenden Bus
Stürzt ein älterer Fahrgast, der einen Bus mit einem Rollator besteigt, beim Anfahren des Busses, weil er es versäumt hat, sich sofort einen festen Halt zu verschaffen, kann auch dann, wenn den Busfahrer kein Verschulden an dem Vorfall tritt, eine Konstellation vorliegen, die die Betriebsgefahr des Busses nicht hinter das fahrlässige Verhalten des Fahrgastes zurücktreten lässt. Allein das Mitführen eines Rollators beim Buseinstieg ist keine Situation, die dem Busfahrer eine besondere Hilfsbedürftigkeit des Fahrgastes signalisiert, sodass er mit dem Anfahren bis zur Eigensicherung des Fahrgastes abzuwarten hat.

Dem Busfahrer kann nicht vorgehalten werden, dass er mit dem Anfahren nicht abwartete, bis die Geschädigte einen Sitzplatz eingenommen oder sonst sicheren Halt im Bus gefunden hat. Denn der Umfang der einen Busfahrer treffenden Pflichten umfasst regelmäßig nicht die Beobachtung der Fahrgäste. Vielmehr ist der Fahrgast in einem Bus sich grundsätzlich selbst überlassen und kann nicht damit rechnen, dass der Wagenführer sich um ihn kümmert. Der Busfahrer hingegen darf darauf vertrauen, dass ein Fahrgast seiner – in den Beförderungsbedingungen festgelegten – Verpflichtung nachkommt, sich stets einen festen Halt zu verschaffen. Daher braucht sich der Fahrer eines Linienbusses vor dem Anfahrvorgang nur dann zu vergewissern, ob ein Fahrgast Platz oder Halt im Wagen gefunden hat, wenn eine erkennbar schwere Behinderung des Fahrgastes ihm die Überlegung aufdrängt, dass der Fahrgast ohne besondere Rücksichtnahme gefährdet ist. Allein das fortgeschrittene Lebensalter eines Fahrgastes reicht hierfür nicht aus. OLG Hamm, Urteil vom 29.04.2022, Az. 11 U 198/21

Verkehrssicherungspflichtverletzung durch feuchtes Laub auf Geh- und Radweg
Eine durch – jahreszeittypisch – feuchtes Laub und feuchte Nadeln auf einem Geh- und Radweg in einem ländlichen Waldstück begründete Rutschgefahr kann für jeden Benutzer des Weges gut zu erkennen und bei vorsichtiger Benutzung beherrschbar sein. Auf diesen Zustand hat sich ein Verkehrsteilnehmer einzustellen, der Weg stellt somit keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar. OLG Hamm, Beschluss vom 11.04.2022, Az. 11 U 49/21

Bodenschwelle zur Verkehrsberuhigung kann Gefahrenstelle sein
Eine zur Verkehrsberuhigung erstellte Bodenschwelle in der Fahrbahn einer für den allgemeinen Fahrzeugverkehr zugelassenen Straße ist eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle, wenn sie so konstruiert ist, dass Motorräder mit einer Bodenfreiheit von zehn Zentimetern beim langsamen Überfahren der Schwelle aufsetzen können. OLG Hamm, Urteil vom 11.03.2022, Az. 11 U 163/21

Verkehrssicherungspflicht: Bordstein keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle
Ein 21 Zentimeter hoher Bordstein kann für einen Fußgänger, der – außerhalb des Bereichs eines Fußgängerüberwegs mit abgesenktem Bordstein – über den Bordstein von der Fahrbahn auf den Gehweg gelangen will, rechtzeitig erkennbar und beherrschbar sein und stellt dann keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar. OLG Hamm, Urteil vom 23.02.2022, Az. 11 U 157/21

Unfallmanipulation bei nur teilweisem Vorliegen manipulationstypischer Indizien
Allein die Umstände eines lohnenden Streifschadens mit geringem Verletzungsrisiko unter Einsatz typischerweise bei einem manipulierten Unfall eingesetzter Fahrzeuge sowie zwei Unfallereignisse innerhalb von zwei Wochen genügen nicht zwingend – so hier – für die Annahme einer Einwilligung in einen Verkehrsunfall. Es liegt keine Indizienkette vor, die in ihrer Gesamtschau die Annahme trägt, der Geschädigte habe in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt. Das Fahrzeug des Geschädigten ragte mit der Fahrerseite über den Parkstreifen hinaus, wodurch es für Streifschäden gleichsam exponiert war, ohne dass die konkrete Abstellsituation für eine Unfallabrede spricht. Auch der Hergang mit einem streifenden Fahrzeugkontakt über die Seite eines stehenden Fahrzeugs – wegen einer Ausweichbewegung weg von einem entgegenkommenden Fahrzeug –, der – bei einem geringen Verletzungsrisiko für den Fahrer – einen in der sachund fachgerechten Beseitigung teuren und bei Durchführung einer Billigreparatur lukrativen Schaden zum Entstehen bringt, lässt sich in Richtung eines abgesprochenen Schadenereignisses auffassen. Gleichwohl trägt dies allein nicht die Annahme eines fingierten Schadenereignisses. Weitere für eine Unfallmanipulation sprechende Indizien fehlen. Hier ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Polizei nach dem Unfall hinzugezogen wurde. Für eine persönliche Bekanntschaft zwischen den Unfallparteien ist nichts ersichtlich. Auch der Unfallort spricht nicht für einen verabredeten Unfall, denn er befindet sich in einem Wohngebiet, wodurch es keineswegs ausgeschlossen erscheint, dass Zeugen die Kollision beobachten könnten. OLG Hamm, Beschluss vom 12.04.2022, Az. 7 U 1/21

Vorfahrtsregel „rechts vor links“ auf Parkplätzen
Fahrgassen auf Parkplätzen sind grundsätzlich keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen und gewähren deshalb keine Vorfahrt. Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes beziehungsweise eines Parkhauses, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme (§ 1 StVO), das heißt, jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jeweils anderen Fahrzeugführer zu suchen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für den Straßencharakter können eine für den Begegnungsverkehr ausreichende Breite der Fahrgassen und andere leicht fassbare bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben sprechen. Fehlt es an solchen baulichen Merkmalen, muss die Ausgestaltung umso klarer durch die Fahrbahnführung und -markierung sein. Maßgeblich ist jedoch, dass die Funktion des § 8 Abs. 1 StVO, nämlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs, auf der fraglichen Verkehrsfläche deutlich im Vordergrund steht. Eine Fahrgasse zwischen markierten Parkreihen ist daher keine Fahrbahn mit Straßencharakter, wenn die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zumindest auch zweckbestimmend ist. OLG Frankfurt, Urteil vom 22.06.2022, Az. 17 U 21/22

Überholen nur bei Überblick der Überholstrecke
Nach § 5 Abs. 2 StVO darf nur überholen, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Überblicken kann der Fahrer des überholenden Fahrzeugs die gesamte Überholstrecke nur dann, wenn er den Abschnitt der Gegenfahrbahn einsehen kann, der zumindest so lang ist wie die für den Überholvorgang benötigte Strecke einschließlich der Strecke, die für das Wiedereingliedern mit ausreichendem Abstand benötigt wird, zuzüglich des Weges, den ein entgegenkommendes, mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit fahrendes Fahrzeug während des Überholens zurücklegt. OVG Münster, Beschluss vom 03.06.2022, Az. 8 B 433/22

STRAFRECHT/BUSSGELD/ORDNUNGSWIDRIGKEITEN

Keine Pflicht zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei Bußgeldern
Eine Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen ist entbehrlich, wenn die Geldbuße den Schwellenwert von 250 Euro (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) nicht übersteigt und keine Besonderheiten vorliegen. Nichts anderes gilt nach Auffassung des Senats bei Geldbußen über 250 Euro, solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße verhängt wird und sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen außergewöhnlich gut oder schlecht sind. Dies gilt auch dann, wenn auf den für eine vorsätzliche Begehungsweise nach § 3 Abs. 4a BKatV vorgesehenen Regelsatz erkannt wird.

Das Tatgericht hat ohne Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Autofahrers eine – vom Regelsatz nach oben abweichende – Geldbuße in Höhe von 320 Euro verhängt. Auch in dem vorliegenden Fall der Erhöhung der Regelgeldbuße aufgrund von Eintragungen über den Betrag von 250 Euro hinaus war das Amtsgericht nicht zu Feststellungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen gehalten. Denn dieser hat, auch über seinen Verteidiger, zu seinen diesbezüglichen Verhältnissen keine Angaben gemacht. Eine Pflicht des Gerichts zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bestand nicht, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit. Maßgeblich ist, dass die Bemessung der Geldbuße nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern, insoweit rechtsfehlerfrei, auf die in den Urteilsgründen dargestellten Vorbelastungen des Autofahrers gestützt wurde. OLG Köln, Beschluss vom 15.07.2022, Az. 1 RBs 198/22

Verbotsweisung: „ohne Fahrerlaubnis keine Kraftfahrzeuge halten oder besitzen“ 
Verbotsweisungen, keine Kraftfahrzeuge zu halten oder zu besitzen, für die der Verurteilte über keine Fahrerlaubnis verfügt, können im Einzelfall auch dann erteilt werden, wenn der Anlassverurteilung keine Verkehrsstraftat zugrunde liegt. Das zur Verfügung stehende Instrumentarium nach § 68b StGB kann grundsätzlich zur Verhinderung sämtlicher – auch nicht einschlägiger oder kriminologisch verwandter – drohender Straftaten eingesetzt werden. Grenzen für die Auswahl und Ausgestaltung der Weisungen ergeben sich daraus, dass diese – über die in der konkreten Rechtsgrundlage formulierten Voraussetzungen hinaus – den allgemeinen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, insbesondere hinreichend bestimmt, verhältnismäßig und zumutbar sein müssen. Die Anordnungen müssen auf die von dem Betroffenen im Einzelfall ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten möglichst genau abgestimmt sein. KG Berlin, Beschluss vom 05.04.2022, Az. 5 Ws 22/22

Kein Verfahrensverstoß: fehlende Speicherung von Rohmessdaten zur Geschwindigkeitsmessung 
Gelangt im Ordnungswidrigkeitenverfahren ein standardisiertes Messverfahren zur Anwendung, folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren im Grundsatz der Anspruch des Betroffenen, Kenntnis auch von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden und weiterhin vorhanden sind, aber nicht zur Bußgeldakte genommen wurden. Ein solcher Anspruch gilt allerdings nicht unbegrenzt. Der aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgende Gedanke der Waffengleichheit bezieht sich auf vorhandene Informationen. Die begehrten Inhalte müssen zum Zweck der Ermittlung entstanden und weiterhin vorhanden sein, damit sie dem Betroffenen zur Herstellung einer Parität des Wissens überlassen werden können. Demgegenüber kommt der Aspekt der Waffengleichheit bei tatsächlich nicht (mehr) vorhandenen Rohmessdaten nicht zum Tragen, da diese Daten zwar kurzzeitig bei dem Rechenvorgang des Messgerätes bestanden haben, aber im weiteren Verfahren weder dem Betroffenen noch der Bußgeldstelle, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zur Verfügung stehen. Der Einsatz algorithmischer Systeme in Gestalt von standardisierten Messverfahren bei Geschwindigkeitsmessungen verkürzt Rechtspositionen des Betroffenen dann nicht übermäßig, wenn keine Rohmessdaten durch das jeweilige Messgerät gespeichert werden, aber die Nichtspeicherung dieser Daten durch rechtsstaatliche Sicherungen ausgeglichen wird. Eine Kompensation für die fehlende vollständige Überprüfbarkeit des Messergebnisses besteht in der Reduzierung des gemessenen Wertes um einen die systemimmanenten Messfehler erfassenden Toleranzwert. Auch bestehen anderweitige Möglichkeiten des Betroffenen und seines Verteidigers, den Vorgang der Geschwindigkeitsmessung nachträglich einer Überprüfung zu unterziehen. Dem Betroffenen sind auf seinen hinreichend konkreten Antrag hin vorhandene Unterlagen und Informationen mit erkennbarer Relevanz für die Verteidigung grundsätzlich zur Verfügung zu stellen. VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22.07.2022, Az. VGH B 30/21

 

 

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