Aus die Maut!
<p> Wie schnell Ideen sich doch in Mäuse verwandeln können. Jeder „mittelalte“ Fernsehzuschauer kennt diese letzte Mitteilung aus der Sendung mit der Maus: „Aus die Maus“. Damit sollten die jungen Zuschauer zum Abschalten bewegt werden. Dieser kurze Satz hat tatsächlich Eingang in die allgemeine Umgangssprache gefunden.</p>

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WDR 5 titelte dann folgerichtig: „Aus die Maut“. Nun stehen wir (in Deutschland) vor einem „Mautscherbenhaufen“. Hatte doch der Generalanwalt Nils Wahl aus Schweden, (bei der Frauenfußball-WM hat Deutschland in Frankreich gerade genau gegen sein Land im Viertelfinale verloren!) des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) Anfang Februar seine Zustimmung zur Abweisung der Klage Österreichs erteilt. Normalerweise folgt der EuGH der „Empfehlung“ seiner Generalanwälte. Doch in diesem Fall wurde schließlich alles ganz anders (Rechtssache C-591/17).
Im Juni kam dann die große Überraschung mit dem Urteil des EuGH, nämlich dass die von Deutschland geplante Pkw-Maut gegen europäisches Recht verstößt. Geklagt hatte Österreich gemeinsam mit den Niederlanden. Immerhin wurde Deutschland bei dem Verfahren in der Verteidigung unterstützt von Dänemark. Eine interessante Konstellation hatte sich dadurch ergeben.
Interessant ist auch die Argumentation des Generalanwaltes Nils Wahl (wer wusste vorher eigentlich, dass es so ein Amt gibt?). Er sah in der Tat nicht, dass eine Diskriminierung ausländischer Fahrzeughalter stattfinden würde und er konnte die Argumente Österreichs nicht nachvollziehen. Deutsche und ausländische Halter könne man gar nicht miteinander vergleichen. Die Halter ausländischer Fahrzeuge müssten nur die Maut zahlen, wenn sie deutsche Straßen nutzen wollten. Halter von deutschen Autos würden dagegen neben der Maut zusätzlich mit der Kfz-Steuer belastet. Schon deshalb stelle die Maut keine Diskriminierung dar.
Nun sollte natürlich die Pkw-Maut für deutsche Fahrzeughalter mit der Kfz-Steuer verrechnet werden. Der Generalanwalt wies einfach auf einen anderen Umstand hin, der seiner Ansicht nach eine wichtige Rolle spielt: Halter ausländischer Fahrzeuge sind nicht verpflichtet, eine Mautgebühr für das ganze Jahr zu zahlen. Sie haben die Möglichkeit, günstigere Kurzzeitvignetten zu benutzen.
Deutsche Fahrer haben diese Möglichkeit nicht. Es gäbe nur die Jahresvignette, daher sind keine Benachteiligungen ausländischer Halter zu erkennen. Zudem sei es völlig legitim, die Kosten des Autobahnnetzes neben deutschen Autofahrern auch auf die Fahrer ausländischer Fahrzeuge zu verlagern. Die EU-Verkehrspolitik sieht ja ausdrücklich vor, dass die Kosten für die Verkehrsinfrastruktur von denen gezahlt werden, die sie auch nutzen.

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Interessant ist auch die Geschichte der deutschen Pläne für die Pkw-Maut. Schon 1993 hatte der damalige Verkehrsminister Günther Krause (CDU, wer erinnert sich noch an ihn?) die Pläne auf dem Tisch. Eine seinerzeit geplante Vignette sollte ab 1. Januar 1994 zwischen 300 und 400 Mark (!) pro Jahr kosten. Es sollte auch Wochen- und Monatsvignetten geben. Brüssel signalisierte seinerzeit seine Zustimmung zu dieser Lösung.
Wer weiß denn überhaupt noch, wer damals an der Regierung war? Natürlich Helmut Kohl. Aber im Kabinett saß auch die FDP. Zuerst (bis Ende Januar 1993) mit Jürgen W. Möllemann, danach Klaus Kinkel, beide jeweils Vertreter des Kanzlers Kohl (!). Aber 1993 schubste die Koalitionsfraktion die Vignettenlösung vom Tisch.
Aber man muss sich mal vor Augen führen, was europaweit bei dem Thema passierte. In Italien musste schon 1925 für das Befahren von einigen Autobahnen bezahlt werden, ab 1959 für das gesamte Autobahnnetz. Nicht viel später zogen Spanien und Frankreich nach. Zu Beginn des Jahres 1985 führte die Schweiz ihre Vignette ein. In Österreich wird seit 1997 eine Vignette verlangt, die gestaffelt ist nach zehn Tagen, zwei Monaten und einem Jahr. Die Sache mit den zehn Tagen ist ehrlich gesagt eine Gemeinheit, weil touristische Aufenthalte in den einschlägigen Orten ein oder AUTOR zwei Wochen dauern, aber selten zehn Tage. Eine klare Abzocke gegenüber den Urlaubern über zwei Wochen!
Aus Deutschland kam Protest gegen Österreichs Maut-Pläne. Der damalige Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) drohte, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einzureichen (!). Die Begründung: Die vorgesehene zeitliche Staffelung würde ausländische Autofahrer benachteiligen und verstoße gegen das Diskriminierungsverbot des EG-Vertrages. Für Deutschland sagte Wissmann: „Eine Maut für Pkw wird es nicht geben.“ Begründung war wiederum das Diskriminierungsverbot: Die Autobahngebühr müsste auch für Deutsche gelten. Das will die Politik nicht.
Österreich hat jetzt sein Pickerl. Deutsche beschweren sich schon lange, dass sie im Ausland Gebühren zahlen müssen, Touristen aber hierzulande kostenlos durchbrausen. Im März 1997 sagt CSU-Chef und Bundesfinanzminister Theo Waigel noch: „Die Vignette wird nicht kommen.“ Ende des Jahres sieht die Sache anders aus: Auf ihrem Parteitag im November in München beschließt die CSU, Autobahngebühren durchsetzen zu wollen. 1998 ist Bundestagswahl. Auch wenn die Maut je nach Berechnung zwei bis drei Milliarden Mark einspielen würde, ist auch klar: Das meiste davon zahlen die Einheimischen.
In Deutschland träumte man damals noch von elektronischer Überwachung, was wir ja auch heute mehr denn je erhoffen (!). Die Diskussion um die Pkw-Maut hatte eine Wendung in Richtung streckenweiser Erfassung über ein elektronisches System genommen. Dessen Einführung hing von Tests auf einer Strecke zwischen Bonn und Köln ab. Im Juni 1995 wurden diese Tests für gescheitert erklärt. Die Sensorerfassung bei den vielen Abund Zufahrten auf deutschen Autobahnen zu gewährleisten wäre zu teuer. Außerdem sind Datenschutzfragen nicht geklärt. Von einem elektronischen, streckenbezogenen Mautsystem hatte man auch die private Finanzierung von Autobahnen abhängig gemacht.
Wie kontrolliert man denn das Bezahlen bei Vignetten? In Österreich ist die ASFINAG für die Aufnahme der Daten verantwortlich und es gibt wohl neun mobile „elektronische Augen“, die flexibel eingesetzt werden können. Wo aus Gründen der Verkehrssicherheit kein Ausleiten oder Anhalten durch die Mautaufsicht möglich ist, kommt die Automatische Vignettenkontrolle (AVK) zum Einsatz (zum Beispiel auf mehrspurigen Stadtautobahnen).
Ansonsten ist „menschliche“ Kontrolle vonnöten. Diese ist personalaufwendig und auf Autobahnen schwierig. Lediglich an Raststätten oder Parkplätzen kann dann eigentlich realistisch eine Überprüfung stattfinden. Automatisiert tut sich da nix.
Die „Infrastrukturabgabe“, wie die deutsche Pkw-Maut offiziell heißt, ist ein Premiumprojekt der CSU. An der ursprünglichen Idee, dass hauptsächlich nur ausländische Fahrer für die Nutzung von Deutschlands Autobahnen zahlen sollten, hatten bisher zwei aus der CSU stammende Bundesverkehrsminister gearbeitet. Beide jedoch erfolglos. Alexander Dobrindt brachte das Projekt auf den Weg, Andreas Scheuer sollte das Ganze schließlich zum Erfolg führen, was ja auch zumindest eine Zeit lang so aussah. Anfangs war die Skepsis groß, dann sah es so aus, als würde das umstrittene Mautkonzept durch die europäischen Instanzen durchgewunken werden. Doch nun wurde es vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg komplett ausgebremst.
In Deutschland hatte man ja schon in Anbetracht der zu erwartenden Zustimmung des EuGH (oder besser Ablehnung der Klage Österreichs) verschiedene Verträge abgeschlossen. Diese werden für die Bundesregierung nun zum finanziellen Desaster. Der ehemalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gestand schon 2015 ein, dass die Diskussion um die Pkw-Maut rund 600.000 Euro gekostet habe.
Diese „Mikro-Summe“ wird nun absolut getoppt durch die aktuellen Kosten für Gutachten oder was auch immer an irgendwelchen Beratungsleistungen und schließlich natürlich für die Vorbereitung der Installation des Erhebungs- und Kontrollsystems. Die Zahlungsverpflichtungen bewegen sich im dreistelligen Millionenbereich. „Die Folge sind überflüssige bereits angefallene Verwaltungs- und Beraterkosten und im Raum stehende Schadensersatzforderungen in Höhe von 300 Millionen Euro, die nun oben draufkommen.“ So der FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic.
Damit hat Deutschland tatsächlich den Maut-Vogel abgeschossen. Doch dieser Vogel soll nach Ansicht von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer weiter fliegen. Es gibt ja nichts, was es nicht gibt! Denn nun wird das ganze Projekt einfach umdefiniert: Nennen wir das einfach CO2-Steuer. Damit ist einerseits der Umweltaspekt integriert, andererseits hat man auch wieder eine Steuer.
Bundesverkehrsminister Scheuer will ja sowieso mit mehr als 50 Maßnahmen die Klimaziele im Verkehr erreichen. Dabei werden dann auch konkrete Daten gehandelt. So sei der Verkehr nur mit 18,5 Prozent an den CO2-Emissionen beteiligt. So wird er auch zitiert mit: „Dabei wollen wir erlauben, erleichtern und ermöglichen und nicht verbieten, verteufeln und verteuern.“
Ein hehres Ziel, was sich aber an der Realität nicht spiegelt. So sieht zwar der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung eine Reduktion der Treibhausgasemissionen im Verkehr von 40 bis 42 Prozent bis 2030 (Vergleich 1990) vor, dafür sind jedoch „spürbare Maßnahmen“ notwendig, die erhebliche zusätzliche Mittel aus dem Bundeshalt erfordern.
Das vorläufige Aus der Pkw-Maut ist zwar eine Niederlage, insbesondere was die vollkommen verkorkste Strategie angeht. Man hatte gedacht, mit dem Argument, andere (angrenzende) Staaten machen das ja auch, können wir uns nicht einfach vorführen lassen. Wir haben in Deutschland leider diese komplett unflexible Art, an unsinnigen Projekt-Ideen festzuhalten, auch wenn schon relativ schnell klar wird, dass weder zeitlich noch finanziell ein Erfolg dabei herauskommt. Ob man BER oder Stuttgart 21 als Beispiel zitiert, andere Länder machen das echt besser. Der Gotthard-Basistunnel wurde deutlich schneller fertig als avisiert.
So werden wir weiter romantischen Ideen der Straßenbaufinanzierung nachhängen. Denn am Geld hängt es in Deutschland am Ende nicht, sondern an der Fachkompetenz. Wer soll es planen, wer soll es machen? Wir haben zu wenige Ingenieure, deren Ausbildung dauert Jahre. Auch hier ist Deutschland schlecht aufgestellt.
So träumen wir weiter von der Mobilität der Zukunft. Sei es das E-Bike, der E-Scooter, die Seilbahn oder fliegende Objekte wie der Volocopter. Wie man da eine Maut erhebt, ist heute noch vollkommen unklar. Jedenfalls eines ist klar: Ohne Bewegung gibt es keinen Fortschritt. Ob mit oder ohne Maut!
AUTOR
PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.
Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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