Die aktuelle Bußgeldentscheidung:
Die Handynutzung am Steuer ist über die Freisprechanlage des Geräts zulässig, wenn das Telefonat vor Fahrtantritt begonnen wurde.

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In der letzten Zeit war in der Rechtsprechung eine zunehmende Verschärfung der Bußgeldentscheidung wegen Handyverstößen am Steuer zu beobachten. Dies gipfelte zuletzt in einer Entscheidung zulasten eines Lkw-Fahrers, der – ohne mit seinem Mobiltelefon während der Fahrt zu telefonieren – rein für das Anschließen eines Ladekabels mit einem Handyverstoß belegt wurde (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 07.12.2015, Az. 2 Ss (OWi) 290/15, 2 Ss OWi 290/15). Umso erfreulicher ist eine aktuelle Entscheidung des OLG Stuttgart (Beschluss vom 25.04.2016, Az. 4 Ss 212/16), die sich mit der Benutzung eines Mobiltelefons während der Fahrt zu befassen hatte, wobei der Fahrzeugführer zwar sein Mobiltelefon in der Hand hielt, das Telefonat aber über die Freisprechanlage des Mobiltelefons führte.
Im Ergebnis wurde der Fahrzeugführer freigesprochen. Das Gericht führte hierzu aus: Ein Kraftfahrzeugführer, der während der Fahrt ein mit einer Freisprechanlage verbundenes Mobiltelefon in der Hand hält und über die Freisprechanlage telefoniert, verstößt nicht gegen das Verbot der Benutzung von Mobiltelefonen gemäß § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO, solange er keine weiteren Funktionen des in der Hand gehaltenen Geräts nutzt.
Mit dieser Entscheidung wurde erfreulicherweise klargestellt, dass das Verbot der Benutzung von Mobiltelefonen gemäß § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO sich nur auf solche Geräte bezieht, die zur Benutzung zwingend in der Hand gehalten werden müssen. Durch § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO soll sichergestellt werden, dass ein Fahrzeugführer beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgabe frei hat und sich primär auf den Straßenverkehr konzentrieren kann. Das OLG Stuttgart hatte zu prüfen, wann das Tatbestandsmerkmal des Aufnehmens oder Haltens des Mobiltelefons oder des Hörers des Autotelefons erfüllt ist.
Hierzu stellte es klar, dass ein Kraftfahrzeugführer, der während der Fahrt ein mit einer Freisprechanlage verbundenes Mobiltelefon in der Hand hält und über die Freisprechanlage telefoniert, nicht gegen das Verbot der Benutzung von Mobiltelefonen gemäß § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO verstößt, solange er keine weiteren Funktionen des in der Hand gehaltenen Geräts nutzt. Eine solche Auslegung gebietet bereits der eindeutige Wortlaut der Vorschrift und entspricht zudem deren Zweck.
Denn vom bloßen Halten eines Mobiltelefons geht kein eigenständiges Gefährdungspotential aus, weshalb während der Fahrt auch andere Tätigkeiten wie die Bedienung des Autoradios, Essen, Trinken, Rauchen und so weiter gesetzlich nicht verboten sind, wenngleich diese Verhaltensweisen am Steuer regelmäßig zwingend dazu führen, dass der Autofahrer nicht beide Hände für die eigentliche Fahraufgabe zur Verfügung hat. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, dies anders zu beurteilen bei dem reinen Halten eines Mobiltelefons. Denn auch nach dem Willen des Verordnungsgebers soll die Bestimmung des § 23 Abs. 1a StVO offensichtlich verhindern, dass der Fahrer in einer Hand einen Gegenstand hält, den er nicht ohne weiteres schnell loslassen kann.

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Ausgabe 4/2016

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Von einem Mobiltelefon, das der Fahrer lediglich in der Hand hält, geht im Prinzip die gleiche Gefahr aus, wie von einem Brötchen, einer Getränkedose oder einer Zigarette. Die Bußgeldvorschrift des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO muss deshalb so verstanden werden, dass eine Gefährdung des Straßenverkehrs erst dann eintritt, wenn das Mobiltelefon über das Halten hinaus auch benutzt wird.
Nur hierbei resultiert eine Überlastung und Ablenkung des Fahrers aus der Doppelbeanspruchung, die dann gegeben ist, wenn der Fahrer während der Fahrt sein Mobiltelefon nicht nur als Telefon, sondern auch als Organizer, Internetzugang oder Diktiergerät verwendet, da diese Tätigkeiten eine erhöhte Konzentration erfordern.
Umgekehrt sollen allerdings Geräte, die während der Fahrt benutzt werden können, ohne dass sie dabei in der Hand gehalten werden müssen, vom Verbot des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO ausgenommen sein. Der Benutzung einer Freisprecheinrichtung wohnt gerade inne, dass beide Hände für die eigentliche Fahraufgabe zur Verfügung stehen. Auch die Verwendung eines Mobiltelefons über Bluetooth ist also keine „Benutzung“ im Sinne von § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO, wenn der Fahrzeugführer dazu den Telefonhörer nicht aufnehmen oder halten muss.
Die Entscheidung des OLG Stuttgart wird deshalb zur Folge haben, dass künftig eher weniger von einem Handyverstoß gegen § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO auszugehen ist, wenn mit dem Mobiltelefon lediglich während der Fahrt telefoniert wird. Die Behauptung der Benutzung der Freisprechanlage dürfte insofern ausreichend sein, um den Bußgeldvorwurf zu entkräften. Denn die meisten modernen Mobiltelefone verfügen über leistungsfähige Mikrofone und Lautsprecher mit Freisprechanlage, so dass ein Telefonat auch dann ermöglicht wird, wenn das Mobiltelefon auf dem Armaturenbrett oder dem Beifahrersitz abgelegt wird. Demgegenüber kommt eine Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes künftig im Prinzip nur noch dann in Betracht, wenn dem Fahrzeugführer die Bedienung anderer Funktionen als der Freisprechanlage nachgewiesen werden kann, also dann, wenn der Autofahrer das Mobiltelefon als Organizer, Diktiergerät oder zur Internetnutzung (Facebook, XING, Navigationsfunktion et cetera) verwendet. Denn in diesen Fällen ist wiederum eine erhöhte Ablenkung des Fahrers vom Straßenverkehr gegeben, was zu einem erhöhten Risiko für andere Verkehrsteilnehmer führt. Es bleibt daher abzuwarten, wie andere Oberlandesgerichte die Entscheidung aufnehmen werden. Vermutlich steht zu erwarten, dass Gerichte, die von der Auffassung des OLG Stuttgart abweichen wollen, prüfen müssen, ob die Sache nicht zur zur Klärung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung gem. § 121 Abs.2 GVG dem BGH vorzulegen ist.
Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, St. Augustin
Kontakt: kanzlei@fischer.legal
Internet: www.fischer.legal
AUTOR
RECHTSANWALT LUTZ D. FISCHER aus St. Augustin berät und vertritt mittelständische Unternehmen, Unternehmerpersönlichkeiten sowie Privatpersonen im Wirtschafts-, Zivil-, Arbeits- und Verkehrsrecht und ist bundesweit als juristischer Dienstleister tätig. Ein besonderer Kompetenzbereich liegt im Bereich des Dienstwagen- und Fuhrparkrechts. Rechtsanwalt Fischer ist Mitglied der ARGE (Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein) und Autor zahlreicher Publikationen zum Dienstwagen- und Verkehrsrecht. Als freiberuflicher Dozent ist er für das Goethe-Institut in Bonn tätig und hält bundesweit Seminare zu „Dienstwagenüberlassung und Arbeitsrecht“ sowie zu „Professionelles Schadensmanagement im Fuhrpark“ für das Weiterbildungsinstitut CompendiumPlus aus Osnabrück.
RECHTSPRECHUNG
VERKEHRSZIVILRECHT
Erforderlichkeit der Mietwagenkosten nach Verkehrsunfall
Die Frage, ob der vom Geschädigten gewählte Mietwagentarif erforderlich war im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, kann ausnahmsweise offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif in der konkreten Situation „ohne weiteres“ zugänglich gewesen wäre, so dass ihm eine kostengünstigere Anmietung unter dem Blickwinkel der ihm gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte. In diesem Zusammenhang kann auch das Angebot des Haftpflichtversicherers an den Geschädigten, ihm eine günstige Anmietmöglichkeit zu vermitteln, beachtlich sein.
Die Rüge der Revision, die Vorinstanzen hätten keine hinreichenden Feststellungen zur Zugänglichkeit der von der Versicherung vorgeschlagenen Mietwagenangebote getroffen, hat keinen Erfolg. Das Amtsgericht, dessen Beweiswürdigung das Berufungsgericht folgt, hat sich nämlich nicht mit der Feststellung begnügt, es bestehe kein Zweifel daran, dass eine Fahrzeuganmietung zu den vom Zeugen genannten Preisen tatsächlich möglich gewesen wäre. Es hat sich dabei vielmehr auf die als glaubhaft angesehene Aussage des Zeugen P. gestützt, wonach dieser regelmäßig – sollte vom Geschädigten ein Mietwagen gewünscht werden – dessen Telefonnummer notiere und an das Mietwagenunternehmen weitergebe, welches sich dann bei dem Geschädigten melde und Zeitpunkt und Art der Fahrzeugzustellung vereinbare. Da die genauen Übergabemodalitäten (sinnvollerweise) dabei unmittelbar zwischen dem von der beklagten Versicherung vermittelten Mietwagenunternehmen und dem Geschädigten vereinbart werden können, musste dem Geschädigten nicht bereits seitens des Haftpflichtversicherers mitgeteilt werden, wo sich das Fahrzeug befindet und ab wann es konkret zur Verfügung gestellt wird. Bei dem Fahrzeug des Geschädigten habe es sich keineswegs um ein „Exotenfahrzeug“ gehandelt, für das ein großes Mietwagenunternehmen kein entsprechendes oder gleichwertiges Fahrzeug anbieten könne. Darüber hinaus werde in Fällen, in denen ein klassengleiches Fahrzeug nicht vorhanden sei, notfalls ohne Aufpreis ein höherwertiges zur Verfügung gestellt.
BGH, Urteil vom 26.04.2016, Az. VI ZR 563/15
Schadenersatz: Beweislast bei Teilüberlagerung von Neuschäden mit Vorschäden
Gibt es zumindest eine Teilüberlagerung von Vorschäden mit geltend gemachten Schäden, trägt der Anspruchsteller die volle Beweislast für die Abgrenzung des Neuschadens. Er hat dafür zu sorgen, dass entsprechende zuverlässige Feststellungen ermöglicht werden und trägt das Risiko der Nichterweislichkeit einer zur Regulierung tauglichen Schadensabgrenzung. Lässt sich also nicht feststellen, welche der geltend gemachten Schäden bei dem behaupteten Unfall entstanden sind und ob diese nicht Fahrzeugteile betrafen, die aufgrund eines früheren Unfallereignisses geschädigt waren und ohnehin hätten ausgetauscht oder fachgerecht instandgesetzt werden müssen, ist kein Raum für eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO. Eine Ermittlung auch nur eines unfallbedingten Teilschadens ist aufgrund von Vorschäden dann nicht möglich. Können Vorschäden von den durch den streitgegenständlichen Versicherungsfall verursachten Schäden hingegen hinreichend sicher abgegrenzt werden, sind diese im bedingungsgemäßen Umfang zu erstatten.
LG Köln, Urteil vom 08.01.2016, Az. 16 O 452/14
Fiktive Schadensabrechnung: Verweisung auf günstigere Reparaturmöglichkeit
Ein Geschädigter, dessen Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt dreieinhalb Jahre alt war, muss sich bei fiktiver Schadenabrechnung auf die Möglichkeit der Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen lassen, sofern die Reparatur dort gleichwertig erfolgen kann. Dabei kann der Verweis des Schädigers auf die günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen anderen markengebundenen oder aber freien Fachwerkstatt noch im Rechtsstreit erfolgen. Ist nicht geklärt, ob eine Beilackierung tatsächlich erforderlich ist, weil diese Frage erst beurteilt werden kann, wenn die zu reparierenden Teile instand gesetzt und lackiert wurden, so geht dies zulasten des Geschädigten, der sich für eine fiktive Abrechnung entschieden hat und die Darlegungs- und Beweislast für die Schadenshöhe trägt.
AG Ratingen, Urteil vom 07.01.2016, Az. 10 C 75/15

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