„Freikaufen“ vom Fahrverbot?
Aktuelle Rechtsprechung zum Absehen vom Regelfahrverbot aus beruflichen Gründen

PDF Download
Die Verhängung eines Fahrverbots wegen Verkehrsverstößen trifft den betroffenen Autofahrer meist sehr viel schwerwiegender, als die daneben verhängte Geldbuße, denn im heutigen Geschäftsleben wird Mobilität großgeschrieben und der Autofahrer ist daher ebenso beruflich wie auch privat auf seine Fahrerlaubnis angewiesen. Kann von der Fahrerlaubnis wegen eines Fahrverbots aber zeitweise kein Gebrauch gemacht werden, sind entgangene Geschäfte bis hin zur Existenzgefährdung an der Tagesordnung – denn mitunter droht sogar der Jobverlust. In so manchem Fuhrpark hält sich deshalb das hartnäckige Gerücht, man könne sich bei Verhängung eines Fahrverbots wegen eines bußgeldbewehrten Verkehrsverstoßes von diesem Fahrverbot „freikaufen“, indem man einfach eine erhöhte Geldbuße bezahlt. Was ist dran an diesem Gerücht – und gibt es so etwas wie das „Freikaufen“ vom Fahrverbot tatsächlich
Grundlagen zum Regelfahrverbot
Die Anordnung eines Fahrverbots folgt aus § 25 Straßenverkehrsgesetz (StVG). Zur Verhängung eines Regelfahrverbots schreibt § 4 der Bußgeldkatalog- Verordnung (BKatV) vor, dass bei Begehung von Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG die Anordnung eines Fahrverbots nach § 25 Abs.1 Satz 1 StVG wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel dann in Betracht kommt, wenn bestimmte Tatbestände des Bußgeldkatalogs verwirklicht werden. Gesetzliche Anordnungsgrundlage für ein Fahrverbot ist also das Straßenverkehrsgesetz, das insoweit durch § 4 BKatV nur konkretisiert wird. Nach der Intention des Gesetzgebers hat das Fahrverbot in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt.
Im Gegensatz zur Entziehung der Fahrerlaubnis bleibt beim Fahrverbot die Fahrerlaubnis, also die öffentlich-rechtliche Erlaubnis, im öffentlichen Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug zu führen, in ihrem rechtlichen Bestand unberührt. Dem Fahrerlaubnisinhaber wird insoweit untersagt, hiervon für den Zeitraum des verhängten Fahrverbots Gebrauch zu machen. Das bedeutet, dass Zuwiderhandlungen gegen das Fahrverbot als Vergehen gem. § 21 Abs.1 Nr.1 StVG als „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden.
Betroffen sind vor allem Raser und Drängler, das Fahren unter Einfluss von Alkohol und anderen berauschenden Mitteln sowie sonstige gefährliche Fahrweisen, die mit der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer oder Sachbeschädigungen verbunden sind. Objektiv beschreiben die Tatbestände, für die § 4 Abs.1 BKatV in Verbindung mit der Anlage und der Tabelle des Bußgeldkatalogs das Fahrverbot als Regelsanktion vorsieht, ausnahmslos Verhaltensweisen, die besonders gravierend und Gefahr tragend sind. Die Erfüllung einer der in § 4 BKatV genannten Tatbestände indiziert das Vorliegen einer „groben“ oder „beharrlichen“ Pflichtverletzung i.S.v. § 25 Abs.1 Satz 1 StVG und damit zugleich die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Anordnung eines Fahrverbots.
So kommt ein Regelfahrverbot nach § 4 Abs. 1 BKatV immer in Betracht
• bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen (Nrn. 9.1–9.3; 11.1–11.3 BKatV i.V.m. Tabelle 1 des Anhangs zur BKatV);

Aktuelles Magazin
Ausgabe 6/2013

Sonderausgabe Elektro
Das neue Jahresspecial Elektromobilität.
• bei Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstands, soweit die Geschwindigkeit mehr als 100 km/h beträgt (Nrn. 12.5.3, 12.5.4, 12.5.5 der Tabelle 2 des Anhangs zur BKatV), beziehungsweise bei einer Geschwindigkeit von mehr als 130 km/h, sofern der Abstand in Metern weniger als ein Viertel des Tachowertes beträgt (Nrn. 12.6.3, 12.6.4, 12.6.5 der Tabelle 2 des Anhangs zur BKatV);
• bei Überholen an unübersichtlichen Stellen im Überholverbot mit Gefährdung oder Sachbeschädigung (Nrn. 19.1.1, 19.1.2, 21.1, 21.2 BKatV) beziehungsweise bei Wenden, Rückwärtsfahren oder Fahren entgegen der Fahrtrichtung auf Autobahnen oder Kraftfahrtstraßen auf der durchgehenden Fahrbahn (Nr. 83.3 BKatV);
• bei unzulässigem Überholen an Bahnübergängen (Nr. 89a.2 BKatV);
• bei Rotlichtverstößen mit Gefährdung oder Sachbeschädigung oder bei schon länger als eine Sekunde andauernder Rotphase eines Wechsellichtzeichens (Nrn. 132.1, 132.2, 132.3, 132.3.1, 132.3.2 BKatV);
• bei nicht zugelassenem Fahrzeugverkehr und Voreintragung im Verkehrszentralregister (Nr. 152.1 BKatV);
• beim Überfahren eines geschlossenen Bahnübergangs (Nr. 244 BkatV) oder
• bei Teilnahme an einem unzulässigen Kraftfahrzeugrennen (Nr. 248 BKatV).
Wird in diesen Fällen ein Fahrverbot angeordnet, so ist in der Regel die dort bestimmte Dauer festzusetzen.
Wird ein Fahrverbot wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers zum ersten Mal angeordnet, so ist nach § 4 Abs. 2 BKatV seine Dauer in der Regel auf einen Monat festzusetzen. Ein Fahrverbot kommt in der Regel in Betracht, wenn gegen den Führer eines Kraftfahrzeugs wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht.
Ferner ist nach § 4 Abs. 3 BKatV bei Verstößen gegen die 0,5-Promillegrenze des § 24a StVG ebenfalls ein Fahrverbot anzuordnen, in der Regel mit der in den Nrn. 241, 241.1, 241.2, 242, 242.1 und 242.2 des Bußgeldkatalogs vorgesehenen Dauer von ein bis drei Monaten.
Ausnahmsweises Absehen vom Regelfahrverbot: § 4 Abs. 4 BKatV
Nach § 4 Abs. 4 BKatV kann von der Anordnung eines Fahrverbots ausnahmsweise abgesehen werden. In diesem Fall soll das für den betreffenden Tatbestand als Regelsatz vorgesehene Bußgeld angemessen erhöht werden.
Damit wird zunächst zum Ausdruck gebracht, dass die Verhängung eines Fahrverbots stets verhältnismäßig und angemessen sein muss. Von der Verhängung eines Regelfahrverbots kann sowohl bei Verneinung eines Regelfalles als auch bei dessen Unangemessenheit abgesehen werden.
Erhebliche Härten oder die Summierung der für sich allein genommen durchschnittlichen und gewöhnlichen Umstände können ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen. Beispielhaft seien hier eine nur geringfügige Überschreitung des „Regelbereichs“ des Bußgeldkatalogs, fehlende Voreintragungen im Flensburger Verkehrszentralregister, eine bereits länger zurückliegende Tat ohne weitere Auffälligkeiten, ein geringes Verkehrsaufkommen zur Tatzeit (beispielsweise nachts), Fehlen von Fußgängern oder der autobahnähnliche Ausbau einer innerörtlichen Straße.
Absehen vom Regelfahrverbot aus beruflichen Gründen
Zwar spielen in der Praxis auf Seite des Betroffenen die negativen beruflichen Folgen eines Fahrverbots bei Beurteilung der Angemessenheit meist die übergeordnete Rolle. Allerdings ist aber auch nicht zu verkennen, dass negative berufliche Folgen nicht per se stets Anlass dazu geben müssen, ausnahmsweise vom Fahrverbot abzusehen. Denn das Fahrverbot trifft grundsätzlich alle Fahrzeugführer vorhersehbar und in gleicher Weise.
Von einer Ausnahme, die Anlass gibt, vom Fahrverbot abzusehen, ist erst zu sprechen, wenn die vom Gesetzgeber beabsichtigte Denkzettelfunktion über das Ziel hinausschießt und die Folgen im konkreten Einzelfall für den Betroffenen zu unzumutbaren Härten wie einer Existenzgefährdung führen. Erst dann kann von einer Unverhältnismäßigkeit beziehungsweise Unangemessenheit des Fahrverbots die Rede sein. Ein Absehen vom gesetzlichen Regelfahrverbot nach § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG kommt daher unbeschadet der Gültigkeit des rechtsstaatlichen Übermaßverbotes nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher Art in Betracht, oder wenn wegen besonderer Umstände das Tatgeschehen ausnahmsweise aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG derart herausfällt, dass die Verhängung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre (OLG Bamberg, Beschluss vom 29.10.2012, Az. 3 Ss OWi 1374/12).
In der Rechtsprechung wird bei der Frage der Existenzgefährdung des Betroffenen differenziert, ob es sich um einen abhängig beschäftigten Mitarbeiter oder aber um einen Selbstständigen beziehungsweise Freiberufler handelt.
So wird eine Existenzgefährdung beim abhängig beschäftigten Mitarbeiter angenommen, wenn der Verlust des Arbeitsplatzes als Folge des Fahrverbots droht. Bei Berufskraftfahrern oder abhängig Beschäftigten, die wie ein Busfahrer zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit auf die Fahrerlaubnis angewiesen sind, kann unter angemessener Erhöhung der Geldbuße vom Fahrverbot abgesehen werden.
Die Existenzgefährdung stellt sich bei Freiberuflern und Selbstständigen in vergleichbarer Weise dar: Hier ist dann vom Fahrverbot abzusehen, wenn durch seine Verhängung eine ernste Gefahr für den Betrieb oder den Unternehmensfortbestand begründet würde. Allerdings gilt dies nur dann, wenn diese Gefahren nicht mit anderweitigen zumutbaren Maßnahmen abgewendet werden können. So stellte schon das OLG Hamm (Beschluss vom 02.12.2003, Az. 4 Ss OWi 719/03) fest, dass von der Verhängung eines verwirkten Regelfahrverbots wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung nur bei einer Gefährdung der beruflichen Existenz abgesehen werden könne. Hat der vorgeahndete Betroffene (hier ein Versicherungsmakler) jedoch bereits ein Fahrverbot überstanden, ist nicht einsichtig, weshalb ein erneutes Fahrverbot eine Existenzgefährdung sein kann. Für die Darlegung der Existenzgefährdung reicht also keineswegs eine pauschale Behauptung.
In den letzten Jahren ist im Bereich der beruflichen Ausnahmegründe jedoch eine spürbare Verschärfung der obergerichtlichen Rechtsprechung festzustellen. Soweit ein Absehen vom Regelfahrverbot aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen des Betroffenen für angemessen erachtet wird, reicht hierzu noch längst nicht jeder berufliche Nachteil aus. Es muss insbesondere geprüft werden, ob eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, die gegebenenfalls im Verlust der wirtschaftlichen Existenz zu sehen ist, vorliegt.
So muss der Betroffene seine Behauptung, dass ihm durch ein Fahrverbot berufliche Nachteile drohen, zumindest durch Vorlage eines Arbeitgeberschreibens belegen, aus dem konkret hervorgeht, dass der Mitarbeiter für den Fall der Anordnung eines Fahrverbots seinen Arbeitsplatz verlieren wird. Ein bloßer Hinweis darauf, der Arbeitgeber habe sich „irgendwie vorbehalten, wegen eines Fahrverbots über eine Kündigung nachzudenken“, reicht also nicht aus. Es muss vielmehr ein Arbeitgeberschreiben vorgelegt werden, aus dem sich eindeutig ergibt, dass das Fahrverbot sicher zu einer Kündigung führen wird. Hat ein betroffener Außendienstmitarbeiter ein Schreiben seines Arbeitgebers vorgelegt, das die Mitteilung enthält, dass der Betroffene im Falle der Anordnung eines Fahrverbots seinen Arbeitsplatz verliert, hat er damit zureichend Anknüpfungstatsachen im vorgenannten Sinne vorgebracht. Darüber hinaus belegen muss er die geltend gemachte Gefährdung seines Arbeitsplatzes nicht (OLG Bamberg, Beschluss vom 26.01.2011, Az. 3 Ss OWi 2/2011, 3 Ss OWi 2/11).
Erst dann muss die Behörde beziehungsweise das Amtsgericht im Rahmen seiner Aufklärungspflichten diesen Vortrag auf eine eventuell vorliegende unzumutbare Härte in Gestalt eines drohenden Arbeitsplatzverlustes oder einer Existenzgefährdung überprüfen. Die konkreten Umstände des Einzelfalles in objektiver und subjektiver Sicht dürfen nämlich bei der Verhängung des Fahrverbots nicht unberücksichtigt bleiben. Bußgeldstelle und Richter müssen in den Gründen ihrer Entscheidung erkennen lassen, dass sie sich mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob der mit der Verhängung des Regelfahrverbots beabsichtigte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch durch eine Erhöhung der zu verhängenden Geldbuße erreicht werden kann (OLG Köln, Beschluss vom 05.07.2013, Az. III-1 RBs 152/13, 1 RBs 152/13). Allerdings sind Behörde und Gericht im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht keineswegs gehalten, die privaten und beruflichen Konsequenzen dieser Maßregel zu ergründen, wenn lediglich pauschale Einwände gegen die Maßregel vorgetragen werden (KG Berlin, Beschluss vom 12.03.2012, Az. 3 Ws (B) 71/12, 3 Ws (B) 71/12 - 162 Ss 310/11).
Beispiele aus der jüngeren Rechtsprechung
Grundsätzlich hat jeder Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge des Fahrverbots durch Maßnahmen wie die teilweise Inanspruchnahme von Urlaub, die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxis, die Heranziehung eines Angestellten als Fahrer, die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers oder durch eine Kombination dieser Maßnahmen auszugleichen. Insbesondere eine Kombination von Maßnahmen der vorgenannten Art ist, wenn der Betroffene über ein geregeltes Einkommen verfügt, als zumutbar anzusehen. Dabei steht einer Verweisung des Betroffenen auf die Inanspruchnahme von Urlaub einer für diese Zeit bereits gebuchten Urlaubsflugreise nicht entgegen (OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2011, Az. III-3 RBs 337/11, 3 RBs 337/11).
Soweit wirtschaftlich möglich und zumutbar, müssen Selbstständige und Freiberufler nach der Rechtsprechung eine Hilfskraft als Fahrer zur Überbrückung eines einmonatigen Fahrverbots einstellen. Als Angestellter besteht diese Möglichkeit aber nicht, sodass eine Bescheinigung des Arbeitgebers vorgelegt werden muss, aus der sich ergibt, dass während der Zeit der Abgeltung des Fahrverbots kein Urlaub genommen werden kann und dass bei Aufrechterhaltung des Fahrverbots deswegen ein Arbeitsplatzverlust droht. Wer seinen Arbeitgeber nicht um eine entsprechende Bescheinigung bitten mag, kann ansonsten auch seinen Arbeitsvertrag vorlegen, wenn sich hieraus ergibt, dass der Arbeitnehmer für die Ausübung seiner Tätigkeit zwingend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist.
Im Falle von überdurchschnittlichen Einkünften bewegen sich eventuelle finanzielle Belastungen für die Anstellung eines Fahrers im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer des Fahrverbots von einem Monat in einem überschaubaren und grundsätzlich zumutbaren Rahmen (OLG Hamm, Beschluss vom 29.06.2010, Az. III-3 RBs 120/10, 3 RBs 120/10), weshalb nicht vom Fahrverbot abzusehen ist. Auch der Umstand, dass jeden Tag Kundentermine in einer Entfernung von bis zu 50 Kilometern wahrgenommen werden müssen, reicht für sich nicht aus (OLG Köln, Beschluss vom 07.09.2012, Az. 1 RBs 242/12, III-1 RBs 242/12).
Eine Entscheidung, aus der nicht hervorgeht, dass dem als freiberuflicher Architekt tätigen Betroffenen bei einer Kombination möglicher Ausgleichsmaßnahmen (Abstimmung der beruflichen Termine mit Beginn des Fahrverbots, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder Taxis, Beschäftigung eines Fahrers) ein Ausgleich etwaiger beruflicher Härten nicht möglich oder zumutbar ist, genügt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht den Anforderungen an die Darlegungen in den Urteilsgründen beim Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots (OLG Hamm, Beschluss vom 28.03.2012, Az. III-3 RBs 19/12, 3 RBs 19/12).
Von der Verhängung des an sich gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG vorgesehenen Regelfahrverbots kann abgesehen werden, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein einmonatiges Fahrverbot die Existenz des Betroffenen nachhaltig beeinträchtigt. Dies ist der Fall, wenn der Betroffene als selbstständiger Fliesenleger aufgrund seiner schlechten wirtschaftlichen Situation bereits staatliche Hilfe (Hartz IV) in Anspruch nehmen muss und auf jeden Auftrag angewiesen ist und er sein Fahrzeug auch zwingend für den Transport der Baumaterialien benötigt (AG Strausberg, Urteil vom 03.01.2012, Az. 14 OWi 282 Js-OWi 3933/11 (113/11), 14 OWi 113/11).
Wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung ist ein Fahrverbot angesichts der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen mit seiner Firma, für die er von Baustelle zu Baustelle zu fahren hat, sowie der Notwendigkeit, sein sechsjähriges an Arthritis chronisch erkranktes Kind zur Physiotherapie zu fahren, nicht unbedingt erforderlich. Auch wenn die Lage des Betroffenen mit einem Netto-Monatsertrag zwischen 600 und 700 Euro schwierig ist, hat angesichts der vorhandenen vier Voreintragungen die Geldbuße nicht weniger als 250 Euro , aber auch nicht mehr zu betragen (AG Borna, Urteil vom 28.09.2011, Az. 6 OWi 151 Js 30642/11).
Im Falle einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h innerorts ist die Ahndung mit einer spürbar erhöhten Geldbuße von 400 Euro ausreichend. Von der Verhängung eines Fahrverbots ist abzusehen, wenn der Betroffene (hier: Angewiesensein des betroffenen Tierarztes mit einer sogenannten Fahrpraxis für Pferde auf die Fahrerlaubnis) im Falle eines Fahrverbots mit erheblichen beruflichen Nachteilen rechnen müsste (AG Walsrode, Urteil vom 23.11.2010, Az. 5 OWi 345 Js 30073/10 (461/10), 5 OWi 461/10).
Wenn ein einmonatiges Fahrverbot für den Betroffenen (hier: alleiniger Betreiber einer Kfz-Werkstatt ohne Angestellte) existenzvernichtend sein könnte und dies eine unverhältnismäßige Folge zu einer einmaligen – wenn auch erheblichen – fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung wäre, kommt ein Absehen vom Fahrverbot gegen Erhöhung (hier: Verdopplung) der Geldbuße in Betracht (AG Gießen, Urteil vom 04.06.2012, Az. 5202 OWi 107 Js 11549/12).
Befindet sich ein Arbeitsloser in der Phase der unmittelbar bevorstehenden Existenzgründung und ist er für diese Tätigkeit, etwa zur Kundenakquise, auf die Fahrerlaubnis angewiesen, kann von einem Regelfahrverbot abgesehen werden (AG Wuppertal, Urteil vom 08.04.2011, Az. 26 OWi 267/10, 26 OWi 623 Js 1901/10 - 267/10).
Macht der Betroffene geltend, aufgrund einer Probefahrt mit einem ihm unbekannten und ungewohnten Fahrzeug eine innerörtliche Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit übersehen zu haben, scheidet eine Ausnahme von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot aufgrund besonderer Tatumstände, insbesondere die Anerkennung eines privilegierenden sogenannten Augenblicksversagens, regelmäßig aus (OLG Bamberg, Beschluss vom 17.07.2012, Az. 3 Ss OWi 944/12).
Eine Ausnahme von einem nach §§ 24a Abs. 1 und 3, 25 Abs. 1 Satz 2 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 BKatV verwirkten Regelfahrverbot kann nicht damit begründet werden, dass die in § 24a Abs. 1 StVG genannten Grenzwerte für die bußgeldbewehrte Atemalkohol- oder Blutalkoholkonzentration nur geringfügig überschritten wurden (OLG Bamberg, Beschluss vom 29.10.2012, Az. 3 Ss OWi 1374/12).
Was ist im Falle eines drohenden oder verhängten Regelfahrverbots zu tun?
Es ist anzuraten, es nach Möglichkeit erst gar nicht zur Festsetzung eines Fahrverbots im Bußgelbescheid kommen zu lassen, sondern schon im Rahmen der Anhörung den Kontakt zur Bußgeldstelle zu suchen, um den Versuch zu unternehmen, dass gegen eine Erhöhung der Geldbuße von dem eigentlich auszusprechenden Fahrverbot ausnahmsweise abgesehen wird. Angesichts der Vielzahl der denkbaren Fallgestaltungen, der differenzierten und immer restriktiver werdenden Rechtsprechung zu Fahrverboten und zu den Ausnahmen durch Absehen vom Regelfahrverbot kann nur davon abgeraten werden, sich ohne fachkundige Hilfe womöglich im Anhörungs- oder Einspruchsverfahren vor der Verwaltungsbehörde oder vor Gericht um „Kopf und Kragen“ zu reden. Hier ist der Betroffene bei einem drohenden oder im Bußgeldbescheid bereits angeordneten Fahrverbot gut beraten, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Erstberatung über die weiteren Möglichkeiten bei einem Rechtsanwalt für Verkehrs- und/oder Strafrecht kann hier klarere Perspektiven schaffen.
Selbst dann, wenn das Kind sprichwörtlich bereits in den Brunnen gefallen ist und keine Möglichkeit mehr besteht, ein Fahrverbot aufheben zu lassen, kann zumindest ein gewisser Handlungsspielraum gesichert und der Zeitpunkt der Führerscheinabgabe geplant und gegebenenfalls im Einspruchsverfahren zeitlich gesteuert werden. Denn das Fahrverbot wird erst mit Rechtskraft der Bußgeldentscheidung wirksam. Die Verbotsfrist wird deshalb erst ab dem Tage der Abgabe des Führerscheins in amtliche Verwahrung gerechnet. Bei ausländischen Fahrerlaubnissen wird hingegen gem. § 25 Abs.5 StVG ein Vermerk auf der Fahrerlaubnis angebracht, denn ein EU-Führerschein oder ein sonstiger ausländischer Führerschein wird nicht amtlich verwahrt, wenn der Inhaber seinen Wohnsitz nicht in Deutschland hat. Nach Eintragung des Fahrverbots müssen diese zurückgegeben werden, weil sie im Ausland ungeachtet des „deutschen Fahrverbots“ weiterhin benutzbar bleiben.
Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, Lohmar
Kontakt: kanzlei@fischer-lohmar.de
Internet: www.fischer-lohmar.de
Autor
Rechtsanwalt Lutz D. Fischer aus Lohmar berät und vertritt mittelständische Unternehmen, Unternehmerpersönlichkeiten sowie Privatpersonen im Wirtschafts-, Zivil-, Arbeits- und Verkehrsrecht und ist bundesweit als juristischer Dienstleister tätig. Ein besonderer Kompetenzbereich liegt im Bereich des Dienstwagen- und Fuhrparkrechts. Rechtsanwalt Fischer ist Mitglied der ARGE (Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein) und Autor zahlreicher Publikationen zum Dienstwagen- und Verkehrsrecht, unter anderem in der Fachzeitschrift „Flottenmanagement“, „Der Kfz-Sachverständige“ und „autorechtaktuell.de“. Als freiberuflicher Dozent ist er für das Goethe-Institut in Bonn tätig und hält bundesweit Seminare zu „Dienstwagenüberlassung und Arbeitsrecht“ sowie zu „Professionelles Schadensmanagement im Fuhrpark“ für das Weiterbildungsinstitut CompendiumPlus aus Osnabrück.
Rechtsprechung
Ersatzfähigkeit von Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall
Das Gericht nimmt die Schätzung des Normalpreises anhand des arithmetischen Mittels zwischen den in der Fraunhofer-Liste und den in der Schwacke-Liste ausgewiesenen Preisen vor. Die Schätzung anhand nur einer der beiden Tabellen ist jedoch grundsätzlich nicht rechtsfehlerhaft, weil die Schadensschätzung im Ermessen des Tatrichters steht.
Für die Anmietung eines Unfallersatzwagens ist ein pauschaler Aufschlag von 20% vorzunehmen, weil der Autovermieter die im Zusammenhang damit anfallenden und weder in der Schwacke-Liste noch in der Fraunhofer-Liste hinreichend berücksichtigten Zusatzkosten regelmäßig an den Mieter weitergibt.
Besteht für das eigene Fahrzeug des Mieters keine Vollkaskoversicherung, kann er die Kosten für die Vollkaskoversicherung des Mietwagens nur ersetzt verlangen, wenn er während der Mietzeit einem im Vergleich zu seinem eigenen Fahrzeug erhöhten Risiko ausgesetzt ist. Das ist auch dann der Fall, wenn er ein Fahrzeug angemietet hat, das neuer als sein eigenes ist. LG Düsseldorf, Urteil vom 31.07.2013, Az. 23 S 287/12
Bußgeld für geparktes Fahrzeug ohne gültige Umweltplakette
Ein Fahrzeug verfügt über keine gültige Umweltplakette, wenn das auf der Plakette am Fahrzeug eingetragene Kennzeichen nicht mit dem am Fahrzeug angebrachten Kennzeichen übereinstimmt. Bereits das Parken eines Fahrzeugs in einer Umweltzone ohne gültige Plakette stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Das hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 24.09.2013 entschieden und damit die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen ein Urteil des Amtsgerichts Dortmund als unbegründet verworfen.
Der Pkw eines rumänischen Herstellers des 35 Jahre alten Betroffenen aus Dortmund war Ende Januar 2013 im nördlichen Stadtgebiet von Dortmund geparkt, im Bereich einer Umweltzone, die mit roten, gelben oder grünen Umweltplaketten befahren werden darf. Die an dem Fahrzeug angebrachte grüne Umweltplakette wies ein Kennzeichen aus, das nicht dem am Fahrzeug angebrachten Kennzeichen entsprach. Für das in der Umweltzone ohne gültige Plakette abgestellte Fahrzeug erhielt der Betroffene ein Bußgeld von 40 Euro.
Der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm hat entschieden, dass der Betroffene zu Recht mit dem Bußgeld belegt worden ist. Das Fahrzeug des Betroffenen habe nur mit einer gültigen Umweltplakette am Verkehr in der Umweltzone teilnehmen dürfen. Mit einer gültigen Plakette sei es nicht ausgestattet gewesen, weil das Kennzeichen der am Fahrzeug angebrachten Plakette nicht mit dem aktuellen Kennzeichen des Fahrzeugs übereingestimmt habe. Eine derartige Übereinstimmung sei aber gesetzlich vorgeschrieben, um eine Kontrolle zu ermöglichen, ob ein Fahrzeug in eine Umweltzone einfahren dürfe. Bereits das geparkte Fahrzeug des Betroffenen nehme an dem Verkehr in der Umweltzone teil. Verkehr in diesem Sinne sei auch das Parken, das die Straßenverkehrsordnung als Teil des ruhenden Verkehrs erfasse. Eine derartige Auslegung der gesetzlichen Vorschrift sei nicht unverhältnismäßig. Bei einem geparkten Fahrzeug sei nämlich im Regelfall klar, dass es mittels Motorkraft bewegt wurde bzw. bewegt werde und deswegen einen unerwünschten Beitrag zur Schadstoffbelastung leiste. Auf die eher unwahrscheinlichen Ausnahmen, dass ein Fahrzeug ohne Inbetriebsetzen seines Motors z.B. mittels eines Anhängers in oder durch die Umweltzone transportiert werde, sei bei der Auslegung nicht abzustellen, um den Luftreinhaltungszweck der gesetzlichen Vorschriften nicht zu schwächen. OLG Hamm, Beschluss vom 24.09.2013, Az. 1 RBs 135/13 (rechtskräftig; Pressemitteilung des Gerichts)
Unverhältnismäßigkeit einer Fahrtenbuchanordnung
Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage als Mittel der Gefahrenabwehr kann nach Vergehen eines erheblichen Zeitraums seit der Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit bzw. der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens unverhältnismäßig sein.
Dies ist nicht der Fall, wenn zwischen der Begehung des mit einem Punkt zu wertenden Verkehrsverstoßes und dem angefochtenen Bescheid gut 19 Monate und zwischen der Einstellung des Bußgeldverfahrens und der Fahrtenbuchanordnung gut 16 Monate liegen.
Es ist denkbar, dass für die Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage der zwischen der Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit/ Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens und der Anordnung der Fahrtenbuchauflage verstrichene Zeitraum relevant sein kann und eine Fahrtenbuchauflage als Mittel der Gefahrenabwehr nach Vergehen eines erheblichen Zeitraums als unverhältnismäßig anzusehen ist. Dieses ist aber vorliegend, da zwischen der Begehung des mit einem Punkt zu wertenden Verkehrsverstoßes und dem angefochtenen Bescheid gut 19 Monate und zwischen der Einstellung des Bußgeldverfahrens und der Fahrtenbuchanordnung gut 16 Monate liegen, (noch) nicht der Fall. Der zeitliche Abstand hält sich vielmehr im Rahmen dessen, was der Senat in vergleichbaren Konstellationen als (noch) verhältnismäßig angesehen hat. Der Umstand, dass es innerhalb dieses Zeitraums offenbar nicht zu einem weiteren vergleichbaren Vorfall gekommen ist, erlaubt nicht die Annahme, das Führen des Fahrtenbuchs sei funktionslos (geworden). Hier sind keine Umstände dargetan oder sonst ersichtlich, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. OVG Lüneburg, Beschluss vom 23.08.2013, Az. 12 LA 156/12
Regel- oder Differenzbesteuerung bei fiktiver Schadensberechnung für Luxusfahrzeug
Will der Geschädigte auf Basis einer fiktiven Ersatzbeschaffung abrechnen, erhält er nur den Netto-Wiederbeschaffungsaufwand. Ist in dem vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswert Umsatzsteuer (Regelumsatzsteuer gem. § 10 UStG oder Differenzsteuer im Sinne des § 25a UStG) enthalten, ist diese abzuziehen, weil der Geschädigte diese nur beanspruchen kann, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist, § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB.
Für die Frage, ob bei der fiktiven Schadensermittlung von einer Regel- oder Differenzbesteuerung auszugehen ist, ist auf das beschädigte Fahrzeug abzustellen. Fahrzeuge des Luxussegments werden auf dem Markt überwiegend regelbesteuert erworben.
Der Geschädigte rechnet zulässigerweise auf Grundlage des vom Privatgutachter ermittelten Wiederbeschaffungswerts fiktiv ab. Will der Geschädigte auf Basis einer fiktiven Ersatzbeschaffung abrechnen, erhält er nur den Netto-Wiederbeschaffungsaufwand. Ist in dem vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswert Umsatzsteuer (Regelumsatzsteuer gem. § 10 UStG oder Differenzsteuer im Sinne des § 25a UStG) enthalten, ist diese abzuziehen, weil der Geschädigte diese nur beanspruchen kann, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist, § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB.
Entgegen der Ansicht des Geschädigten ist im vorliegenden Fall nicht von dem vom Sachverständigen ermittelten Brutto-Wiederbeschaffungswert auszugehen und hiervon ein Differenzsteuerbetrag von zwei bis drei Prozent abzuziehen. Der Sachverständige hat den Netto- Wiederbeschaffungswert ermittelt und angegeben. Dass der Sachverständige den Wert falsch ermittelt hat, hat der Geschädigte nicht vorgetragen. Für die Frage, ob bei der fiktiven Schadensermittlung von einer Regel- oder Differenzbesteuerung auszugehen ist, ist auf das beschädigte Fahrzeug abzustellen. Hierbei handelte es sich um ein Fahrzeug des Luxussegments. Fahrzeuge des Luxussegments werden auf dem Markt überwiegend regelbesteuert erworben. Der Senat hat daher auch keine Zweifel an der Richtigkeit der Wertermittlung des Privatgutachters des Geschädigten. OLG Köln, Urteil vom 05.06.2013, Az. I-16

Aktuelles Magazin
Ausgabe 6/2013

Sonderausgabe Elektro
Das neue Jahresspecial Elektromobilität.
Der nächste „Flotte!
Der Branchentreff" 2026
0 Kommentare
Zeichenbegrenzung: 0/2000